Discussion:
Beihilfe (Was: Nicht von mir, passt aber:)
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2021-10-07 13:50:41 UTC
Permalink
-> dsrs
"Wer in Deutschland 1933 ff sozialisiert wurde und dann mit 18-20 als
Sekretärin im KZ arbeitete, hat mMn definitiv keine Beihilfe geleistet.
Meinungen darf jeder haben. Man darf bspw. meinen, dass nachts die
Sonne scheinen sollte. Auf dieser Grundlage meteorologische Fragen zu
diskutieren ist allerdings kaum sinnvoll.
Aber wovon hängt es nun ab, ob die Sekretärin mit ihren Tipparbeiten
Beihilfe geleistet hat?
Beihilfe unterstellt, dass das Tun wesentliche Voruaussetzung für die
Straftat war/ ist
Das ist falsch.
Spielt es keine Rolle, ob die Straftat auch ohne die
Sekretariatsarbeiten erfolgen konnte?
Dann hätten sich also auch die zitierten Fahrer und Brotlieferanten der
Beihilfe schuldig gemacht, wenn sie wussten, was drinnen abgeht?
Thomas Hochstein
2021-10-07 14:17:35 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Aber wovon hängt es nun ab, ob die Sekretärin mit ihren Tipparbeiten
Beihilfe geleistet hat?
Vielleicht erklärt Horst uns das ja noch, wer weiß?
Post by Stefan Schmitz
Spielt es keine Rolle, ob die Straftat auch ohne die
Sekretariatsarbeiten erfolgen konnte?
Richtig. Es genügt eine Förderung oder Erleichterung der Tat, die die
Tat erst ermöglicht, sie erleichtert oder den Schaden vergrößern (die
Rechtsgutverletzung intensivieren).
Post by Stefan Schmitz
Dann hätten sich also auch die zitierten Fahrer und Brotlieferanten der
Beihilfe schuldig gemacht, wenn sie wussten, was drinnen abgeht?
Das ist eine Frage der Abgrenzung der Beihilfe im Bereich der sog.
"neutralen Handlungen". Die Literatur dazu ist einigermaßen
umfangreich.

-thh
Rupert Haselbeck
2021-10-07 15:49:06 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Spielt es keine Rolle, ob die Straftat auch ohne die
Sekretariatsarbeiten erfolgen konnte?
Richtig. Es genügt eine Förderung oder Erleichterung der Tat, die die
Tat erst ermöglicht, sie erleichtert oder den Schaden vergrößern (die
Rechtsgutverletzung intensivieren).
Es würde möglicherweise zu mehr Verständnis für die Anklageerhebung
(und, sofern die Angeklagten denn lange genug leben sollten, evtl.
Verurteilung) von 96-jährigen Tätern oder Täterinnen führen, wenn die
Justiz die Haupttäter mancher der hier gegenständlichen Taten in den
1950er und 1960er Jahren mit ebensolchem Eifer verfolgt hätte. Freilich
hätte man dann auch die ein oder andere Stelle im eigenen Haus womöglich
neu besetzten müssen. Manchmal zweifelt man auch als durchaus nicht mit
der Justiz auf Kriegsfuß stehender Mensch ein wenig an der
Angemessenheit dieses erst heute aufflammenden Verfolgungseifers...
Man befördert damit immerhin auch, freilich unfreiwillig, die bekannte
Redensart vom Hängen der Kleinen bei Laufenlassen der Großen - und das
durchaus mit einem gewissen Maß an Recht

MfG
Rupert
Peter Veith
2021-10-16 08:32:01 UTC
Permalink
Post by Rupert Haselbeck
Es würde möglicherweise zu mehr Verständnis für die Anklageerhebung
(und, sofern die Angeklagten denn lange genug leben sollten, evtl.
Verurteilung) von 96-jährigen Tätern oder Täterinnen führen, wenn die
Justiz die Haupttäter mancher der hier gegenständlichen Taten in den
1950er und 1960er Jahren mit ebensolchem Eifer verfolgt hätte.
Genauso!
Post by Rupert Haselbeck
Freilich hätte man dann auch die ein oder andere Stelle im eigenen
Haus womöglich neu besetzten müssen.
Ein Glück, daß die inzwischen pensioniert und verstorben sind. Aber,
vielleicht greifen die heutigen Richter (deren Nachfolger quasi) auf den
einen oder anderen Rechtssatz von den weiterbeschäftigten Blutrichtern
zurück. Hätte noch eine besonderes Geschmäckle.
Post by Rupert Haselbeck
Manchmal zweifelt man auch als durchaus nicht mit der Justiz auf
Kriegsfuß stehender Mensch ein wenig an der Angemessenheit dieses
erst heute aufflammenden Verfolgungseifers...
Was wird der Grund heute sein?
Post by Rupert Haselbeck
Man befördert damit immerhin auch, freilich unfreiwillig, die
bekannte Redensart vom Hängen der Kleinen bei Laufenlassen der Großen
- und das durchaus mit einem gewissen Maß an Recht
ACK.

Veith
--
Fiat iustitia et pereat mundus
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com
Michael Ottenbruch
2021-10-18 14:34:18 UTC
Permalink
Post by Rupert Haselbeck
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Spielt es keine Rolle, ob die Straftat auch ohne die
Sekretariatsarbeiten erfolgen konnte?
Richtig. Es genügt eine Förderung oder Erleichterung der Tat, die die
Tat erst ermöglicht, sie erleichtert oder den Schaden vergrößern (die
Rechtsgutverletzung intensivieren).
Es würde möglicherweise zu mehr Verständnis für die Anklageerhebung
(und, sofern die Angeklagten denn lange genug leben sollten, evtl.
Verurteilung) von 96-jährigen Tätern oder Täterinnen führen, wenn die
Justiz die Haupttäter mancher der hier gegenständlichen Taten in den
1950er und 1960er Jahren mit ebensolchem Eifer verfolgt hätte.
Das war ganz offensichtlich nicht der Fall. Nur kann man daraus kein
Recht auf "Gleichbehandlung im Unrecht" ableiten.
Post by Rupert Haselbeck
Freilich
hätte man dann auch die ein oder andere Stelle im eigenen Haus womöglich
neu besetzten müssen. Manchmal zweifelt man auch als durchaus nicht mit
der Justiz auf Kriegsfuß stehender Mensch ein wenig an der
Angemessenheit dieses erst heute aufflammenden Verfolgungseifers...
Das, was Du "Verfolgungseifer" nennst, ist Resultat des Urteils gegen
John Demjanjuk aus dem Jahre 2011. Vorher ist man davon ausgegangen, daß
eine derartige Verfolgung wegen Beihilfe nicht möglich sei. (Auch)
deswegen hat man es gelassen.
Post by Rupert Haselbeck
Man befördert damit immerhin auch, freilich unfreiwillig, die bekannte
Redensart vom Hängen der Kleinen bei Laufenlassen der Großen - und das
durchaus mit einem gewissen Maß an Recht
Eher nicht. Wir lassen gerne die Tatsache außer Acht, daß Menschen, die
wir heute noch wegen ihrer damaligen Taten vor Gericht stellen können,
aus rein biologischen Gründen nicht vor Mitte der 1920er Jahre geboren
sein können (sonst wären sie nämlich bereits in anderen Angelegenheiten
verstorben), was wiederum dazu führt, daß sie bei Kriegsende um die
zwanzig Jahre alt waren (wie auch Frau Furchner). In dem Alter konnten
sie sich aber noch gar nicht in eine Position hochgearbeitet haben, in
der man sie als "Große" hätte bezeichnen können. Von daher kannst Du
heute nur noch "Kleine" vor Gericht stellen - so bedauerlich das ist.
--
...und tschuess!

Michael
E-mail: ***@sailor.ping.de
Peter Veith
2021-10-18 14:48:34 UTC
Permalink
Nur kann man daraus kein Recht auf "Gleichbehandlung im Unrecht"
ableiten.
Also *der* ist immer besonders gut!

Veith
--
Wenn Recht nur selektiv angewendet wird, wird es zu Unrecht.
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com
Peter Heirich
2021-10-25 05:48:54 UTC
Permalink
Post by Michael Ottenbruch
Das, was Du "Verfolgungseifer" nennst, ist Resultat des Urteils gegen
John Demjanjuk aus dem Jahre 2011. Vorher ist man davon ausgegangen, daß
eine derartige Verfolgung wegen Beihilfe nicht möglich sei. (Auch)
deswegen hat man es gelassen.
Da zweifele ich ernsthaft. Ja ich kenne auch die Demjanuk Rechtsprechung.

Es gibt das rechtskräftige Urteil LG Hamburg Jugendkammer, 23.07.2020
Aktenzeichen: 617 Ks 10/19 jug

Ebenfalls KZ Stutthof, SS-Wachman Bruno Dey

Das Urteil ist weitgehend brilliant und die 92 Seiten sind sehr lesenswert.

Frau Furchner war wohl länger in Stutthof angestellt, hat aber im Sinne
des BGH ( im Fall Gröning ) weniger zutreffende Punkte.

-keine Wachaufgabe mit Waffe

Das o.g. Urteil LG Hamburg formuliert ab Rn. 436 u.a.:

"[..]Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass dem Angeklagten im
Verfahren vor dem Zweiten Strafsenat keine Wachtätigkeit – wie im hiesigen
Verfahren dem Angeklagten – nachgewiesen werden konnte, es also auf die
fördernde Wirkung allein der SS-Zugehörigkeit ankam."

Rn. 438:

"Das ist im hiesigen Verfahren anders, da der hiesige Angeklagte als
Wachmann fortwährend, wie festgestellt, für die Lagerverantwortlichen zur
Verfügung stand, um Flucht und/oder Widerstand der Gefangenen zu
verhindern. Damit war der hiesige Angeklagte – anders als ggf. _eine_
_Sekretärin_ oder ein Küchengehilfe oder auch ein Zahnarzt, soweit diesem
tatsächlich keine Beteiligung an den Verbrechen im Konzentrationslager
nachgewiesen werden kann, – für die Lagerverantwortlichen jederzeit von
essentieller Bedeutung für die Erfüllung der menschenverachtenden Ziele,
die mit der Aufrechterhaltung des Konzentrationslagers Stutthof verfolgt
wurden, nämlich Menschen zum Ausnutzen ihrer Arbeitskraft gefangen zu
halten und solche Menschen in der Gefangenschaft des Lagers zu ermorden,
die aus Sicht der Lagerverantwortlichen in Übereinstimmung mit der
„Rassenideologie“ des NS-Regimes „wertlose Volksschädlinge“ waren. Denn
der Angeklagte und die anderen Wachmänner sorgten gerade dafür, dass
dieses Gefangenhalten und Ermorden überhaupt möglich war."

Hervorhebung der Sekretärin von mir.

Das hätte jeder StAin eine Warnung sein sollen.

Dazu noch die Grundgesetzinterpretation in der Strafzumessung.

Und es gäbe noch Punkte, die LG Hamburg elegant umschifft hat.

Ist die Verjährungsdogmatik überhaupt korrekt benutzt ?

Im konkreten Fall wäre der Totschlag verjährt, da § 78 (2) StGB
ausdrücklich nur Mord § 211 von der Verjährung ausschließt.

Jetzt unterscheidet sich aber Totschlag nur vom Mord, da Mordmerkmale
zutreffen, also durch die Schwere der Schuld. Eine Tötung ist es noch
immer. Der Gesetzgeber ( eigentlich Adolf Hitler dazu später ) formuliert
"... tötet, ohne Mörder zu sein, ...". Das verknüpft in §211 und §212 StGB
die Tathandlungen.

Beihilfe unterscheidet sich von Mittäterschaft ebenfalls durch geringere
Schuld, erreicht aber wohl nicht die Schuldhöhe einer persönlich
ausgeführten Tötung. Gelingt der Nachweis zumindest eines Mordmerkmals
nicht, erfolgt normal Verurteilung wegen Totschlags, hier aber wegen der
Verjährung müßte Freispruch erfolgen.

Die Bestrafung des Gehilfen erfolgt also m.E. nicht mehr schuldangemessen,
wenn ihm kein Vorsatz bezüglich auch der Mordmerkmale nachweisbar ist.

Der Gesetzesbegründung ( https://dserver.bundestag.de/btd/
08/026/0802653.pdf ) ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine
Ausdehnung auf Fälle der Beihilfe audrücklich wollte.

Liegt wirklich eine unechte Rückwirkung vor ?

Eigentlich gelten zunächst die Regelungen des RStGB von 1871. Die jetzige
Mordregelung wurde von Adolf Hitler unter Nutzung des
Ermächtigungsgesetzes 1941 erzeugt. Das war die Geburt der Mordmerkmale im
"Recht". Ich zweifele, daß wirklich eine Sitzung der damaligen
Reichsregierung mit formeller Gesetzgebung stattgefunden hat.

Im Übrigen hat A.H. die persönliche Weisungs- und Gesetzgebungsbefugnis
erst ab 1942/1943 beansprucht ( Beschluß des Großdeutschen Reichstags vom
26.April 1942 / Erlaß des Führers über die Regierungsgesetzgebung vom 10.
Mai 1943 )


Durch Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht vom
20.September 1945 wurde das Ermächtigungsgesetz incl. der daraufberuhenden
Folgegesetze aufgehoben.

§ 211 und § 212 RStGB 1941 existierte damit nicht mehr. Es sah im Übrigen
die Todesstrafe für Mord als Regelstrafe vor, die 1949 durch Artikel 102
GG abgeschafft wurde. Im StGB war bis 1953 die Fassung mit der
Todesstrafe.

Im Übrigen:

Kontrollratsgesetz Nr. 1 Artikel III

Art. III. Wer irgendwelche durch dieses Gesetz aufgehobenen Gesetze
anwendet oder anzuwenden versucht, setzt sich strafrechtlicher Verfolgung
aus.

Das betrifft nach Wortlaut eben auch §§ 211,212 RStGB 1941

Viel spaß
Peter
Peter Heirich
2021-10-25 04:58:25 UTC
Permalink
Post by Michael Ottenbruch
Das, was Du "Verfolgungseifer" nennst, ist Resultat des Urteils gegen
John Demjanjuk aus dem Jahre 2011. Vorher ist man davon ausgegangen, daß
eine derartige Verfolgung wegen Beihilfe nicht möglich sei. (Auch)
deswegen hat man es gelassen.
Da zweifele ich ernsthaft.

Es gibt das rechtskräftige Urteil LG Hamburg Jugendkammer, 23.07.2020
Aktenzeichen: 617 Ks 10/19 jug

Ebenfalls KZ Stutthof, SS-Wachman Bruno Dey

Das Urteil ist weitgehend brilliant und die 92 Seiten sind lesenswert.

Frau Furchner war wohl länger in Stutthof angestellt, hat aber im Sinne
des BGH ( im Fall Gröning ) weniger zutreffende Punkte.

-keine Wachaufgabe mit Waffe

Das o.g. Urteil LG Hamburg formuliert ab Rn. 436 u.a.:

"[..]Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass dem Angeklagten im
Verfahren vor dem Zweiten Strafsenat keine Wachtätigkeit – wie im hiesigen
Verfahren dem Angeklagten – nachgewiesen werden konnte, es also auf die
fördernde Wirkung allein der SS-Zugehörigkeit ankam."

Rn. 438:

"Das ist im hiesigen Verfahren anders, da der hiesige Angeklagte als
Wachmann fortwährend, wie festgestellt, für die Lagerverantwortlichen zur
Verfügung stand, um Flucht und/oder Widerstand der Gefangenen zu
verhindern. Damit war der hiesige Angeklagte – anders als ggf. _eine_
_Sekretärin_ oder ein Küchengehilfe oder auch ein Zahnarzt, soweit diesem
tatsächlich keine Beteiligung an den Verbrechen im Konzentrationslager
nachgewiesen werden kann, – für die Lagerverantwortlichen jederzeit von
essentieller Bedeutung für die Erfüllung der menschenverachtenden Ziele,
die mit der Aufrechterhaltung des Konzentrationslagers Stutthof verfolgt
wurden, nämlich Menschen zum Ausnutzen ihrer Arbeitskraft gefangen zu
halten und solche Menschen in der Gefangenschaft des Lagers zu ermorden,
die aus Sicht der Lagerverantwortlichen in Übereinstimmung mit der
„Rassenideologie“ des NS-Regimes „wertlose Volksschädlinge“ waren. Denn
der Angeklagte und die anderen Wachmänner sorgten gerade dafür, dass
dieses Gefangenhalten und Ermorden überhaupt möglich war."

Das hätte jeder StAin eine Warnung sein sollen.

Dazu noch die Grundgesetzinterpretation in der Strafzumessung.

Und es gäbe noch Punkte, die LG Hamburg elegant umschifft hat.

Ist die Verjährungsdogmatik überhaupt korrekt benutzt ?

Im konkreten Fall wäre der Totschlag verjährt, da § 78 (2) StGB
ausdrücklich nur Mord § 211 von der Verjährung ausschließt.

Jetzt unterscheidet sich aber Totschlag nur vom Mord, da Mordmerkmale
zutreffen, also durch die Schwere der Schuld. Eine Tötung ist es noch
immer. Der Gesetzgeber ( eigentlich Adolf Hitler dazu später ) formuliert
"... tötet, ohne Mörder zu sein, ...". Das verknüpft in §211 und §212 StGB
die Tathandlungen.

Beihilfe unterscheidet sich von Mittäterschaft ebenfalls durch geringere
Schuld, erreicht aber wohl nicht die Schuldhöhe einer persönlich
ausgeführten Tötung. Gelingt der Nachweis zumindest eines Mordmerkmals
nicht, erfolgt normal Verurteilung wegen Totschlags, hier aber wegen der
Verjährung müßte Freispruch erfolgen.

Die Bestrafung des Gehilfen erfolgt also m.E. nicht mehr schuldangemessen,
wenn ihm kein Vorsatz bezüglich auch der Mordmerkmale nachweisbar ist.

Der Gesetzesbegründung ( https://dserver.bundestag.de/btd/
08/026/0802653.pdf ) ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine
Ausdehnung auf Fälle der Beihilfe audrücklich wollte.

Liegt wirklich eine unechte Rückwirkung vor ?

Eigentlich gelten zunächst die Regelungen des RStGB von 1871. Die jetzige
Mordregelung wurde von Adolf Hitler unter Nutzung des
Ermächtigungsgesetzes 1941 erzeugt. Das war die Geburt der Mordmerkmale im
"Recht". Ich zweifele, daß wirklich eine Sitzung der damaligen
Reichsregierung mit formeller Gesetzgebung stattgefunden hat.

Im Übrigen hat A.H. die persönliche Weisungs- und Gesetzgebungsbefugnis
erst ab 1942/1943 beansprucht ( Beschluß des Großdeutschen Reichstags vom
26.April 1942 / Erlaß des Führers über die Regierungsgesetzgebung vom 10.
Mai 1943 )


Durch Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht vom
20.September 1945 wurde das Ermächtigungsgesetz incl. der daraufberuhenden
Folgegesetze aufgehoben.

§ 211 und § 212 RStGB 1941 existierte damit nicht mehr. Es sah im Übrigen
die Todesstrafe für Mord als Regelstrafe vor, die 1949 durch Artikel 102
GG abgeschafft wurde. Im StGB war bis 1953 die Fassung mit der Todesstrafe.

Im Übrigen:

Kontrollratsgesetz Nr. 1 Artikel III

Art. III. Wer irgendwelche durch dieses Gesetz aufgehobenen Gesetze
anwendet oder anzuwenden versucht, setzt sich strafrechtlicher Verfolgung
aus.

Das betrifft nach Wortlaut eben auch §§ 211,212 RStGB 1941

Viel spaß
Peter
Thomas Hochstein
2021-10-25 17:52:42 UTC
Permalink
Post by Peter Heirich
Post by Michael Ottenbruch
Das, was Du "Verfolgungseifer" nennst, ist Resultat des Urteils gegen
John Demjanjuk aus dem Jahre 2011. Vorher ist man davon ausgegangen, daß
eine derartige Verfolgung wegen Beihilfe nicht möglich sei. (Auch)
deswegen hat man es gelassen.
Da zweifele ich ernsthaft.
Woran?
Post by Peter Heirich
Es gibt das rechtskräftige Urteil LG Hamburg Jugendkammer, 23.07.2020
Aktenzeichen: 617 Ks 10/19 jug
Das scheint mir zeitlich nach 2011 zu liegen.
Post by Peter Heirich
Frau Furchner war wohl länger in Stutthof angestellt, hat aber im Sinne
des BGH ( im Fall Gröning ) weniger zutreffende Punkte.
Mag sein, mag nicht sein. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht sehen
offensichtlich nach Aktenlage hinreichenden Tatverdacht.
Post by Peter Heirich
Im konkreten Fall wäre der Totschlag verjährt, da § 78 (2) StGB
ausdrücklich nur Mord § 211 von der Verjährung ausschließt.
Jetzt unterscheidet sich aber Totschlag nur vom Mord, da Mordmerkmale
zutreffen, also durch die Schwere der Schuld.
Nein, Mord unterscheidet sich vom Totschlag dadurch, dass Mordmerkmale
vorliegen. Mit der Schwere der Schuld hat das allenfalls am Rande zu
tun.
Post by Peter Heirich
Eine Tötung ist es noch immer.
Wie bei durchaus nicht wenigen anderen Tatbeständen.
Post by Peter Heirich
Beihilfe unterscheidet sich von Mittäterschaft ebenfalls durch geringere
Schuld, erreicht aber wohl nicht die Schuldhöhe einer persönlich
ausgeführten Tötung.
Mittäterschaft unterscheidet sich von Beihilfe primär durch die
Tatherrschaft (bzw. durch das Ergebnis einer wertenden Gesamtbetrachtung
von eigenem Interesse am Taterfolg, Umfang der Tatbeteiligung und
Tatherrschaft).
Post by Peter Heirich
Gelingt der Nachweis zumindest eines Mordmerkmals
nicht, erfolgt normal Verurteilung wegen Totschlags, hier aber wegen der
Verjährung müßte Freispruch erfolgen.
Das ist ja eine brilliante Erkenntnis, die vorher noch niemand hatte.
Post by Peter Heirich
Die Bestrafung des Gehilfen erfolgt also m.E. nicht mehr schuldangemessen,
wenn ihm kein Vorsatz bezüglich auch der Mordmerkmale nachweisbar ist.
Das ist keine Frage der Schuldangemessenheit, sondern eine Frage des
subjektiven Tatbestands.
Post by Peter Heirich
Der Gesetzesbegründung ( https://dserver.bundestag.de/btd/
08/026/0802653.pdf ) ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine
Ausdehnung auf Fälle der Beihilfe audrücklich wollte.
Da die Verjährungspflichten für Täterschaft und Teilnahme sich
einheitlich nach dem Grundtatbestand richten - und der Gesetzgeber das
freilich wusste -, bedurfte eine solche Selbstverständlichkeit nicht der
Erwähnung.
Post by Peter Heirich
Liegt wirklich eine unechte Rückwirkung vor ?
Eigentlich gelten zunächst die Regelungen des RStGB von 1871. Die jetzige
Mordregelung wurde von Adolf Hitler unter Nutzung des
Ermächtigungsgesetzes 1941 erzeugt. Das war die Geburt der Mordmerkmale im
"Recht". Ich zweifele, daß wirklich eine Sitzung der damaligen
Reichsregierung mit formeller Gesetzgebung stattgefunden hat.
Das macht ja nichts, dass Du zweifelst, und es steht Dir frei, Dich
wissenschaftlich vertieft mit dieser Frage zu beschäftigen.
Post by Peter Heirich
§ 211 und § 212 RStGB 1941 existierte damit nicht mehr. Es sah im Übrigen
die Todesstrafe für Mord als Regelstrafe vor, die 1949 durch Artikel 102
GG abgeschafft wurde. Im StGB war bis 1953 die Fassung mit der Todesstrafe.
Ja - und?
Post by Peter Heirich
Das betrifft nach Wortlaut eben auch §§ 211,212 RStGB 1941
Na dann.

-thh
--
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Stefan Schmitz
2021-10-26 09:12:04 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Im konkreten Fall wäre der Totschlag verjährt, da § 78 (2) StGB
ausdrücklich nur Mord § 211 von der Verjährung ausschließt.
Jetzt unterscheidet sich aber Totschlag nur vom Mord, da Mordmerkmale
zutreffen, also durch die Schwere der Schuld.
Nein, Mord unterscheidet sich vom Totschlag dadurch, dass Mordmerkmale
vorliegen. Mit der Schwere der Schuld hat das allenfalls am Rande zu
tun.
Findest du es nicht auch seltsam, dass bei der einen vorsätzlichen
Tötung wegen Verjährung nicht mal mehr der Täter selbst verfolgt werden
kann, während bei der anderen ein bloßer Helfer sein Leben lang bestraft
werden kann - und das bloß, weil die zweite Tötung ein bestimmtes
Merkmal aufweist?

Ich finde es absurd, die ganze Verjährung (selbst für Beihilfe) an der
Qualifizierung (der Haupttat) aufzuhängen. Warum hat man nicht einfach
gesagt, dass Totschlag generell nicht verjährt?
Thomas Hochstein
2021-10-26 22:21:47 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Findest du es nicht auch seltsam, dass bei der einen vorsätzlichen
Tötung wegen Verjährung nicht mal mehr der Täter selbst verfolgt werden
kann, während bei der anderen ein bloßer Helfer sein Leben lang bestraft
werden kann - und das bloß, weil die zweite Tötung ein bestimmtes
Merkmal aufweist?
Nein. Es war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die
Verjährungsfrist für Mord erst zu verlängern und dann aufzuheben - aus
dem einen Grund, NS-Verbrechen weiterhin verfolgen zu können. Dass die
gesetzliche Regelung dieses Ziel erreicht, finde ich nicht seltsam.
Post by Stefan Schmitz
Ich finde es absurd, die ganze Verjährung (selbst für Beihilfe) an der
Qualifizierung (der Haupttat) aufzuhängen.
Woran sonst?
Post by Stefan Schmitz
Warum hat man nicht einfach
gesagt, dass Totschlag generell nicht verjährt?
Siehe oben.

-thh
--
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Gesetzestexte, Rechtsprechung und Fundstellen: <http://dejure.org/>
Gesetze und Verordnungen (deutsches Bundesrecht): <http://buzer.de/>
Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>
Helmut Richter
2021-10-27 20:58:54 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Findest du es nicht auch seltsam, dass bei der einen vorsätzlichen
Tötung wegen Verjährung nicht mal mehr der Täter selbst verfolgt werden
kann, während bei der anderen ein bloßer Helfer sein Leben lang bestraft
werden kann - und das bloß, weil die zweite Tötung ein bestimmtes
Merkmal aufweist?
Nein. Es war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die
Verjährungsfrist für Mord erst zu verlängern und dann aufzuheben - aus
dem einen Grund, NS-Verbrechen weiterhin verfolgen zu können. Dass die
gesetzliche Regelung dieses Ziel erreicht, finde ich nicht seltsam.
Wenn es nur um NS-Verbrechen geht, hätte man auch einfach explizit für diese
die Verjährung aufheben können. Wenn heute eine Ehefrau ihren tyrannischen
Gatten umbringt, warum soll die Verjährung davon abhängen, ob man ihr
Heimtücke nachweisen kann?
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Ich finde es absurd, die ganze Verjährung (selbst für Beihilfe) an der
Qualifizierung (der Haupttat) aufzuhängen.
Woran sonst?
An objektiven Unterschieden des Sachverhalts und dem zu erwartetenden
Strafmaß, nicht an Wertungen, die man erst nach durchgezogenem Prozess treffen
kann.
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Warum hat man nicht einfach
gesagt, dass Totschlag generell nicht verjährt?
Siehe oben.
Da steht kein Grund, warum Totschlag verjähren muss, Mord aber nicht.
Noch komplexer wird es, wenn man den bedingten Vorsatz mitrechnet, zum
Beispiel beim für andere lebensgefährlichen Autofahren. Kommt jemand zu
Tode, kanns auch ein Mord sein. Ist zufällig gar keiner da, den es
erwischt hat oder hätte erwischen können, ist m.W. noch nie auf versuchten
Mord erkannt worden, oder? Aber die Tat ist doch genau dieselbe –
verschieden ist nur, ob das in Kauf genommene unbeteiligte Opfer zufällig
am Platze war oder nicht.
--
Helmut Richter
Thomas Hochstein
2021-10-27 21:11:11 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Nein. Es war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die
Verjährungsfrist für Mord erst zu verlängern und dann aufzuheben - aus
dem einen Grund, NS-Verbrechen weiterhin verfolgen zu können. Dass die
gesetzliche Regelung dieses Ziel erreicht, finde ich nicht seltsam.
Wenn es nur um NS-Verbrechen geht, hätte man auch einfach explizit für
diese die Verjährung aufheben können.
Da war was, dass auf "Fahrradkette" endet.
Wenn heute eine Ehefrau ihren tyrannischen Gatten umbringt, warum soll
die Verjährung davon abhängen, ob man ihr Heimtücke nachweisen kann?
Weil der Gesetzgeber das entschieden hat.
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Ich finde es absurd, die ganze Verjährung (selbst für Beihilfe) an der
Qualifizierung (der Haupttat) aufzuhängen.
Woran sonst?
An objektiven Unterschieden des Sachverhalts und dem zu erwartetenden
Strafmaß, nicht an Wertungen, die man erst nach durchgezogenem Prozess
treffen kann.
Die "objektiven Unterschiede des Sachverhalts" und insbesondere das zu
erwartende Strafmaß sind hervorragende Beispiele für Wertungen, die man
erst nach dem Ende eines Strafverfahrens feststellen kann.

Gerade deshalb ist die Verjährung an den abstrakten Strafrahmen des
Delikts gebunden - das ist das einzige, was man einigermaßen zuverlässig
im Vorfeld einschätzen kann.
Da steht kein Grund, warum Totschlag verjähren muss, Mord aber nicht.
Jedenfalls keiner, der Dir einsichtig ist.

-thh
--
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Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>
Helmut Richter
2021-10-27 22:08:31 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Thomas Hochstein
Nein. Es war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die
Verjährungsfrist für Mord erst zu verlängern und dann aufzuheben - aus
dem einen Grund, NS-Verbrechen weiterhin verfolgen zu können. Dass die
gesetzliche Regelung dieses Ziel erreicht, finde ich nicht seltsam.
Wenn es nur um NS-Verbrechen geht, hätte man auch einfach explizit für
diese die Verjährung aufheben können.
Da war was, dass auf "Fahrradkette" endet.
Wenn heute eine Ehefrau ihren tyrannischen Gatten umbringt, warum soll
die Verjährung davon abhängen, ob man ihr Heimtücke nachweisen kann?
Weil der Gesetzgeber das entschieden hat.
Das ist nicht die Antwort auf die Frage.

Die Frage war nämlich nicht „warum hängt die Verjährung davon ab?“ –
darauf wäre das die Antwort gewesen.

Sondern die Frage war „warum soll die Verjährung davon abhängen?“, also
etwa „warum ist es der Gerechtigkeit dienlich, wenn sie davon abhängt?“

Anwälte und Richter müssen sich die erste Frage stellen, der Gesetzgeber,
also die Vertretung der Bürger, muss sich die zweite Frage stellen und den
Bürgern gegenüber vertreten können.
--
Helmut Richter
Diedrich Ehlerding
2021-10-29 18:58:39 UTC
Permalink
Nach deiner Logik müsste also auch die
Verjährungsfrist gleich sein.
Du solltest nicht bei eins aufhören, sondern auch bis drei lesen.
Ich habe den Teil 3 durchaus gelesen. Mir ist bekannt, dass der
Gesetzgeber das so geregelt hat. Es ging aber nicht darum, wie die
Regelung tatsächlich ist, sondern darum, ob sie sinnvoll und
verständlich ist. Das hast du versucht zu erklären, und ich sage dir:
deine Logik, dass das von der Obergrenze im Strafrahmen abhängt, trifft
eben nicht zu; die Entscheidung des Gesetzgebers ist unlogisch und
inkonsequent.
--
gpg-Key (DSA 1024) D36AD663E6DB91A4
fingerprint = 2983 4D54 E00B 8483 B5B8 C7D1 D36A D663 E6DB 91A4
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Thomas Hochstein
2021-10-29 19:53:08 UTC
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Post by Diedrich Ehlerding
deine Logik, dass das von der Obergrenze im Strafrahmen abhängt, trifft
eben nicht zu;
Doch, das tut es im Grundsatz - das gilt für alle Straftaten außer Mord
[1], wo die Verjährung gesondert und abweichend geregelt ist. Warum das
wiederum so ist, habe ich unter drittens erläutert.
Post by Diedrich Ehlerding
die Entscheidung des Gesetzgebers ist unlogisch und inkonsequent.
Keineswegs.

-thh

[1] Und Straftaten nach dem VStGB.
--
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Gerald Gruner
2021-10-28 21:03:47 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Findest du es nicht auch seltsam, dass bei der einen vorsätzlichen
Tötung wegen Verjährung nicht mal mehr der Täter selbst verfolgt werden
kann, während bei der anderen ein bloßer Helfer sein Leben lang bestraft
werden kann - und das bloß, weil die zweite Tötung ein bestimmtes
Merkmal aufweist?
Nein. Es war eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die
Verjährungsfrist für Mord erst zu verlängern und dann aufzuheben - aus
dem einen Grund, NS-Verbrechen weiterhin verfolgen zu können. Dass die
gesetzliche Regelung dieses Ziel erreicht, finde ich nicht seltsam.
Wenn es nur um NS-Verbrechen geht, hätte man auch einfach explizit für
diese die Verjährung aufheben können. Wenn heute eine Ehefrau ihren
tyrannischen Gatten umbringt, warum soll die Verjährung davon abhängen,
ob man ihr Heimtücke nachweisen kann?
Ich finde es naheliegend, die Dauer einer Verjährung von der Schwere der
Tat abhängig zu machen. Und ein Mord, ein Totschlag und eine schwere
Kürperverletzung mit Todesfolge sind nunmal unterschiedliche Taten, auch
wenn das Opfer in jedem Fall tot ist...

Trotzdem halte ich den aktuellen NS-Prozess gegen eine 96-jährige
Ex-Sekretärin für einen politischen Schauprozess. Das wäre vielleicht vor
60 Jahren sinnvoll gewesen, heute aber ist es nur Show und "Muskelspiel"
von Politik und Justiz.
Was machen die in ~5 oder 10 Jahren, wenn ihnen die "Täter" wohl endgültig
ausgehen? Leichen ausgraben und anklagen...?

MfG
Gerald
--
"Ich habe einen ziemlich breiten Buckel. Da können mir auch schon mal
zwei gleichzeitig 'runterrutschen."
- aus "a stranger in a strange world"
Thomas Hochstein
2021-10-29 18:26:04 UTC
Permalink
Post by Gerald Gruner
Trotzdem halte ich den aktuellen NS-Prozess gegen eine 96-jährige
Ex-Sekretärin für einen politischen Schauprozess. Das wäre vielleicht vor
60 Jahren sinnvoll gewesen, heute aber ist es nur Show und "Muskelspiel"
von Politik und Justiz.
Dass diese Taten auch jetzt noch verfolgt werden, ist sowohl
nachvollziehbar als auch unabdingbar.

Dass dafür - vergleichsweise - enorme Ressourcen für wenig
nachvollziehbaren Benefit investiert werden, ist allerdings eine primär
politische Entscheidung. Ich finde sie nachvollziehbar, wenn auch nicht
richtig.
Post by Gerald Gruner
Was machen die in ~5 oder 10 Jahren, wenn ihnen die "Täter" wohl endgültig
ausgehen? Leichen ausgraben und anklagen...?
Man diskutiert seit bestimmt einem Jahrzehnt, die Zentrale Stelle in
Ludwigsburg abzuwickeln. Bis jetzt hat sich keiner getraut.

In 10 Jahren vielleicht ... (Dann wären 1931 geborene Täter, die 1945
strafmündig - 14 Jahre alt - gewesen sind, 100 Jahre alt. 100 Jahre ab
dem Geburtsjahr ist ein typischer Zeitraum für die endgültige Erledigung
von Strafverfolgungsmaßnahmen, bspw. auch für die Aussonderung von
Akten, in denen auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt wurde.

-thh
Thomas Hochstein
2021-11-01 17:38:57 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Dass diese Taten auch jetzt noch verfolgt werden, ist sowohl
nachvollziehbar als auch unabdingbar.
Ist es das wirklich?
Ja.
Warum hat man nach dem 2. WK so wenige Täter vor Gericht gestellt, verfolgt
aber nun nach 75 Jahren(!) mit einem erstaunlichen Furor eine damals gerade
mal volljährige, heute 96-jährige Sekretärin als Beihelferin?
Gerade weil die Aufarbeitung des NS-Unrechts in der Nachkriegszeit viel
zu wünschen übrig gelassen hat, gibt es keinen Grund, neu aufgeklärte
Taten heute schulterzuckend abzuhaken.

Die Verhängung von zwei Jahren Freiheits- oder Jugendstrafe, ausgesetzt
zur Bewährung, für Beihilfe bei mehr als 5.000 Morden würde ich im
Übrigen nicht gerade als "erstaunlichen Furor" bezeichnen.
Post by Thomas Hochstein
Dass dafür - vergleichsweise - enorme Ressourcen für wenig
nachvollziehbaren Benefit investiert werden, ist allerdings eine primär
politische Entscheidung. Ich finde sie nachvollziehbar, wenn auch nicht
richtig.
Ist es das?
Was - politisch, nachvollziehbar oder richtig? :)
Glaubt wirklich irgendjemand, dass damit - egal welches Urteil fallen mag -
der Gerechtigkeit irgendein Dienst erwiesen wird?
Ja.
Dieser Prozess zeigt vielmehr, dass die Justiz wohl doch mehr politisch
getrieben ist, als es für einen Rechtsstaat gut sein kann.
Das kann ich daraus nicht entnehmen.

Dass man die Taten überhaupt verfolgt, anklagt und aburteilt, ist
rechtlich zwingend; man kann wohl kaum die Beteiligung am
vieltausendfachen Mord in der NS-Zeit wegen "geringer Schuld"
einstellen.

Dass die Justizverwaltung im Rahmen der Ressourcensteuerung dafür sorgt,
dass diese Verfahren nicht noch ein paar Jährchen dahinplätschern, bis
sich die Frage biologisch löst, halte ich angesichts der historischen
Verantwortung für nachvollziehbar. Dass auf die inhaltliche (!)
Bearbeitung der Verfahren bei der Staatsanwaltschaft oder gar den
Gerichten Einfluss genommen würde, wäre mir neu - und mir ist in
konkreten Fällen das Gegenteil bekannt.
Post by Thomas Hochstein
Man diskutiert seit bestimmt einem Jahrzehnt, die Zentrale Stelle in
Ludwigsburg abzuwickeln. Bis jetzt hat sich keiner getraut.
Interessante Info.
Das ist allgemeinkundig - bzw. lässt sich aus der Presse entnehmen;
ersteres zumindest. Letzteres ist eine naheliegende Interpretation.
<spekulation>
Was, wenn genau DAS der wahre Hintergrund für diesen Prozess ist?
Man (diese Zentrale oder die Politik, die das Thema weiter am Kochen halten
wollte), brauchte unbedingt irgendeinen "Knalleffekt", um das Schließen zu
verhindern. (Und die eigenen Jobs zu sichern?)
Ganz sicher nicht. Das Personal der Zentralen Stelle besteht aus von den
Bundesländern abgeordneten Richtern und Staatsanwälten (und selten auch
Polizeibeamten). Die haben ihre "Jobs" im "Heimatbundesland" sicher, wo
sie ihre Stelle haben; endet die Abordnung (oder würde die Zentrale
Stelle geschlossen), kehren sie auf ihre eigentliche Stelle zurück. Da
gibt es also keine Jobs zu verlieren, und auch für die Bundesländer
nichts zu sparen (oder nicht viel).

Dass man davor zurückscheut, die justizielle Aufarbeitung der NS-Zeit
symbolisch abzuschließen, erscheint mir hingegen nachvollziehbar.
</spekulation>
Je faktenfreier, desto besser spekuliert es sich.
Hoffentlich irrt sich mein nun noch flaueres Bauchgefühl dabei.
Ach ja, das Bauchgefühl ...

-thh
--
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Peter Heirich
2021-10-26 21:00:15 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Im konkreten Fall wäre der Totschlag verjährt, da § 78 (2) StGB
ausdrücklich nur Mord § 211 von der Verjährung ausschließt.
Jetzt unterscheidet sich aber Totschlag nur vom Mord, da Mordmerkmale
zutreffen, also durch die Schwere der Schuld.
Nein, Mord unterscheidet sich vom Totschlag dadurch, dass Mordmerkmale
vorliegen. Mit der Schwere der Schuld hat das allenfalls am Rande zu
tun.
Findest du es nicht auch seltsam, dass bei der einen vorsätzlichen
Tötung wegen Verjährung nicht mal mehr der Täter selbst verfolgt werden
kann, während bei der anderen ein bloßer Helfer sein Leben lang bestraft
werden kann - und das bloß, weil die zweite Tötung ein bestimmtes
Merkmal aufweist?
Ich finde es absurd, die ganze Verjährung (selbst für Beihilfe) an der
Qualifizierung (der Haupttat) aufzuhängen. Warum hat man nicht einfach
gesagt, dass Totschlag generell nicht verjährt?
Aus der Gesetzesbegründung:

<cite>
Die Aufhebung der Mordverjährung gewinnt auf
dem Hintergrund der Vielzahl und der Grausamkeit
der während der nationalsozialistischen Gwaltherrschaft
begangenen Morde besondere Bedeutung.
Zwar ist nicht wahrscheinlich, daß nach dem
1. Jauar 1980 noch sehr viele Täter bekannt werden,
gegen die die Verjährung der Strafverfolgung
nicht unterbrochen wurde. Für den Rechtsfrieden
wäre es jedoch nicht erträglich, wenn nur einige
wenige Täter nach dem 1. Januar 1980 bekannt
würden, ohne für diese Taten strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen werden zu können.
</cite>

Politisch begründete Spezialgesetzgebung.

Ob jetzt wirklich jede Sekretärin, jeder Wachmann oder jede Küchenkraft
als Gehilfin unter die Mengenschätzung der Begründung fallen würde, darf
m.E. bezweifelt werden.


Totschlag hätte das Nebenproblem gehabt, ob jede Tötung an der Front,
kriegsvölkerrechtlich einwandfrei war.

Auch nach den damaligen Genfer Konventionen etc. waren Nicht-Kombatanten
zu schonen.

Torpedoschuß eines U-Boots auf ziviles Ziel z.B. einzelfahrendes
Handeslschiff wäre vermutlich Totschlag der Schiffsbesatzung.

Peter
Thomas Hochstein
2021-10-30 13:00:37 UTC
Permalink
Post by Peter Heirich
Politisch begründete Spezialgesetzgebung.
So sagen die einen.

Die anderen sagen:

"Das menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und die
Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat,
hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland
eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und
allein auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht
eingefangen werden kann. Das bewusste Absetzen von der
Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus war historisch zentrales
Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes
beteiligten Kräfte, insbesondere auch des Parlamentarischen Rates und
bildet ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung (vgl. nur Art.
1, Art. 20 und Art. 79 Abs. 3 GG). Das Grundgesetz kann weithin geradezu
als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen
Regimes gedeutet werden und ist von seinem Aufbau bis in viele Details
hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen
und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen.
Die endgültige Überwindung der nationalsozialistischen Strukturen und
die Verhinderung des Wiedererstarkens eines totalitär nationalistischen
Deutschlands war schon für die Wiedererrichtung deutscher Staatlichkeit
durch die Alliierten ein maßgeblicher Beweggrund und bildete - wie etwa
die Atlantik-Charta vom 14. August 1941, das Potsdamer Abkommen vom 2.
August 1945 und das Kontrollratsgesetz Nr. 2 zur Auflösung und
Liquidierung der Naziorganisationen vom 10. Oktober 1945 zeigen - eine
wesentliche gedankliche Grundlage für die Frankfurter Dokumente vom 1.
Juli 1948, in denen die Militärgouverneure die Ministerpräsidenten aus
ihren Besatzungszonen mit der Schaffung einer neuen Verfassung
beauftragten. Auch für die Schaffung der Europäischen Gemeinschaften
sowie zahlreiche internationale Vertragswerke wie insbesondere auch die
Europäische Menschenrechtskonvention ging von den Erfahrungen der
Zerstörung aller zivilisatorischen Errungenschaften durch den
Nationalsozialismus ein entscheidender Impuls aus. Sie prägen die
gesamte Nachkriegsordnung und die Einbindung der Bundesrepublik
Deutschland in die Völkergemeinschaft bis heute nachhaltig."
Post by Peter Heirich
Totschlag hätte das Nebenproblem gehabt, ob jede Tötung an der Front,
kriegsvölkerrechtlich einwandfrei war.
[...]
Post by Peter Heirich
Torpedoschuß eines U-Boots auf ziviles Ziel z.B. einzelfahrendes
Handeslschiff wäre vermutlich Totschlag der Schiffsbesatzung.
Das ist schon deshalb Quatsch, weil ein solcher Torpedoschuss ohne Frage
heimtückisch wäre - und damit Mord, wenn er denn strafbar wäre.

-thh
Peter Heirich
2021-10-26 06:00:24 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Da zweifele ich ernsthaft.
Woran?
Das es doch einen gewissen Verfolgungseifer gab.
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Es gibt das rechtskräftige Urteil LG Hamburg Jugendkammer, 23.07.2020
Aktenzeichen: 617 Ks 10/19 jug
Das scheint mir zeitlich nach 2011 zu liegen.
Ja, es wird darin ausdrücklich die Frage Wachdienst vs. bloße Anwesenheit
analysiert.

Demjanuk, Dey, Gröning --> Wachdienst --> Beihilfe

Rn. 438 hatte ich zitiert. Kann man so lesen, dass nicht-Wachpersonal,
konkreter Gegenbeweis ausgenommen, keine Beihilfe leistet.
Post by Thomas Hochstein
Mittäterschaft unterscheidet sich von Beihilfe primär durch die
Tatherrschaft (bzw. durch das Ergebnis einer wertenden Gesamtbetrachtung
von eigenem Interesse am Taterfolg, Umfang der Tatbeteiligung und
Tatherrschaft).
Ja, ändert aber wenig am Grundproblem. Muss die Verjährung bei Beihilfe
zwangsweise identisch zur Haupttat sein ?

Ich sehe keine zwingende Notwendigkeit dazu.
Post by Thomas Hochstein
Da die Verjährungspflichten für Täterschaft und Teilnahme sich
einheitlich nach dem Grundtatbestand richten - und der Gesetzgeber das
freilich wusste -, bedurfte eine solche Selbstverständlichkeit nicht der
Erwähnung.
Die reden da viel über Völkermord und schlimmste NS-Verbrechen. Und die
Vorhersage, dass kaum Fälle auftreten dürften, für welche die verlängerte
Verjährung zutreffend sein wird, ist wohl nicht haltbar, wenn man
Sekretärinnen und ähnliches Hilfpersonal im Blick gehabt hätte.
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Liegt wirklich eine unechte Rückwirkung vor ?
Eigentlich gelten zunächst die Regelungen des RStGB von 1871. Die
jetzige Mordregelung wurde von Adolf Hitler unter Nutzung des
Ermächtigungsgesetzes 1941 erzeugt. Das war die Geburt der Mordmerkmale
im "Recht". Ich zweifele, daß wirklich eine Sitzung der damaligen
Reichsregierung mit formeller Gesetzgebung stattgefunden hat.
Das macht ja nichts, dass Du zweifelst, und es steht Dir frei, Dich
wissenschaftlich vertieft mit dieser Frage zu beschäftigen.
Post by Peter Heirich
§ 211 und § 212 RStGB 1941 existierte damit nicht mehr. Es sah im
Übrigen die Todesstrafe für Mord als Regelstrafe vor, die 1949 durch
Artikel 102 GG abgeschafft wurde. Im StGB war bis 1953 die Fassung mit
der Todesstrafe.
Ja - und?
Das ist m.E. so weitgehend reine Willkür, kaum Recht.


Alle Justiz nutzt den Mordparagraphen. Eingeführt 1941. Im
Reichsgesetzblatt die Formulierung: Die Reichsregierung hat ....

Also Ermächtigungsgesetz als Grundlage, denn die Reichsregierung ist kein
"normaler" Gesetzgeber.

Zudem ist nicht glaubhaft, dass Hitler September 1941 wirklich eine
Sitzung der Reichsregierung zum Thema abgehalten hat. Da war gerade
Russlandfeldzug.

Hat das je jemand geprüft ? Die Reichsregierung sollte mit
Sitzungsprotokollen getagt haben.

Dann Kontrollratsgesetz Nr. 1, Abschaffung Ermächtigungsgesetz incl. der
Gesetze, die darauf beruhten.

Könnte man denken, es galt die gesamte Zeit RStGB 1871, was aber keine
Mordmerkmale kennt, sondern "mit und ohne Überlegung" beim vorsetzlichen
Töten unterscheidet.

Insbesondere existieren offenbar keine Tat- sondern nur täterbezogene
Merkmale.

Dummerweise § 211 RStGB 1871 wird mit dem Tode bestraft. Das schafft das
GG durch Artikel 102 ab, wird aber erst 1953 im StGB vollzogen. Dabei
ändert man wiederum die durch Kontrollratsgesetz Nr. 1 eigentlich
verbotene Fassung von 1941 ab.

Also gelten jetzt die eigenmächtigen Gesetze Hitlers ?

Das geht offenbar nach Bedarf aus heutiger Sicht.

Da kommt man nur raus, wenn man das deutsche Recht verläßt und
internationales Recht benutzt.

Peter
Thomas Hochstein
2021-10-30 13:27:53 UTC
Permalink
Post by Peter Heirich
Post by Thomas Hochstein
Post by Peter Heirich
Da zweifele ich ernsthaft.
Woran?
Das es doch einen gewissen Verfolgungseifer gab.
Auf welcher Grundlage?

Die in den letzten Jahrzehnten geführten Strafverfahren wegen
NS-Verbrechen sind regelmäßig Folge eines Vorermittlungsverfahrens der
Zentralen Stelle, die das Verfahren bei einem Anfangsverdacht (noch)
verfolgbarer konkreter Straftaten an die örtlich zuständige
Staatsanwaltschaft abgibt.

Bei der Zentralen Stelle von "Verfolgungseifer" zu sprechen, macht
keinen Sinn; es ist vielmehr deren Daseinsgrund und einzige Aufgabe,
Vorermittlungen zu nationalsozialistischen Verbrechen zu führen und dazu
weltweit Material zu sichten, zu sammeln und auszuwerten, um - heute
noch lebende - Beschuldigte ausfindig zu machen, die sich an den Morden
der Nationalsozialisten beteiligt haben.

Und eine Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht
strafbarer Handlungen tätig zu werden. Einen "Verfolgungseifer" gibt es
da in erster Linie in der Form, dass für diese Verfahren durch die
Justizverwaltung besondere personelle Ressourcen geschaffen und ihre
Bearbeitung priorisiert wird. Das ist aber primär Ausfluss der
besonderen Bedeutung der NS-Zeit für die Bundesrepublik Deutschland als
Gegenentwurf und Folge der besonderen geschichtlichen Verantwortung für
die Verbrechen der damaligen Zeit.
Post by Peter Heirich
Ja, es wird darin ausdrücklich die Frage Wachdienst vs. bloße Anwesenheit
analysiert.
Demjanuk, Dey, Gröning --> Wachdienst --> Beihilfe
Rn. 438 hatte ich zitiert. Kann man so lesen, dass nicht-Wachpersonal,
konkreter Gegenbeweis ausgenommen, keine Beihilfe leistet.
Dann würde man es falsch lesen. Jedes Urteil - abgesehen
obergerichtliche oder höchstrichterlicher Revisionsurteile, die auch der
Klärung von Rechtsfragen dienen - beschäftigt sich in erster Linie mit
seinem Gegenstand, und hier mit der Frage, ob auch jemand, der "nur auf
dem Turm gestanden und nichts getan" hat, Beihilfe leistet. Die
Strafkammer argumentiert:

| Voraussetzung für den Betrieb eines Konzentrationslagers wie Stutthof
| mit den dort herrschenden lebensfeindlichen Bedingungen und der
| Durchführung von Ermordungen bestimmter Gefangener sind willige und
| gehorsame Untergebene, die jederzeit an den unterschiedlichsten
| Funktionen innerhalb der organisierten Tötungsabläufe eingesetzt werden
| können und sich einsatzbereit halten (vgl. BGH, Beschluss vom 20.
| September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, Rn. 22 ff.). Das Wissen um
| die verfügbaren, wenn auch nicht zwingend namentlich bekannten
| gehorsamen Untergebenen des SS-Totenkopfsturmbanns Stutthof ermöglichte
| der Lagerleitung in Stutthof, die Befehle zu geben, die erforderlich
| waren, um den Tod von Gefangenen zu tausenden herbeizuführen.
|
| Diese fördernde Wirkung gilt für die Befehle des Lagerkommandanten
| Hoppe, mindestens sieben weitere Vergasungsaktionen mit weiteren 175
| Opfern im Herbst 1944 anzuordnen. Sie gilt auch für die Befehle, die
| notwendig waren, um die lebensfeindlichen Bedingungen im
| Konzentrationslager Stutthof aufrecht zu erhalten – sowohl im Hinblick
| auf die besonders katastrophalen Bedingungen in den Baracken mit den
| Nummern 17 bis 25 und 28 bis 30 als auch im Bereich des übrigen
| Stammlagers – und den Tod von mindestens 5.002 Menschen herbeizuführen
| sowie die Tötung von mindestens einem Menschen versuchen zu können. All
| diese Befehle waren durch die Anwesenheit des Angeklagten im
| Konzentrationslager Stutthof und seiner Zugehörigkeit zum
| SS-Totenkopfsturmbann bedingt und wurden dadurch maßgeblich gefördert.

Dann muss sie sich mit der Rechtsprechung des BGH auseinandersetzen,
dass die "Anwesenheit des Angeklagten" und seine "Zugehörigkeit zum
SS-Totenkopfsturmbann" möglicherweise alleine nicht ausreichen. Sie
stellt sich dann auf den Standpunkt,
| dass konkrete Haupttaten und die fördernde Wirkung der Zugehörigkeit
| zur Wachmannschaft für die konkreten Tatentschlüsse festgestellt werden
| können.

Darauf folgt dann die Abwägung in Rn. 438:

| Damit war der hiesige Angeklagte – anders als ggf. _eine_
| _Sekretärin_ oder ein Küchengehilfe oder auch ein Zahnarzt, soweit diesem
| tatsächlich keine Beteiligung an den Verbrechen im Konzentrationslager
| nachgewiesen werden kann, – für die Lagerverantwortlichen jederzeit von
| essentieller Bedeutung für die Erfüllung der menschenverachtenden Ziele,
| die mit der Aufrechterhaltung des Konzentrationslagers Stutthof verfolgt
| wurden, nämlich Menschen zum Ausnutzen ihrer Arbeitskraft gefangen zu
| halten und solche Menschen in der Gefangenschaft des Lagers zu ermorden,
| die aus Sicht der Lagerverantwortlichen in Übereinstimmung mit der
| „Rassenideologie“ des NS-Regimes „wertlose Volksschädlinge“ waren. Denn
| der Angeklagte und die anderen Wachmänner sorgten gerade dafür, dass
| dieses Gefangenhalten und Ermorden überhaupt möglich war."

Möglicherweise sorgte auch eine Sekretärin des Lagerkommandanten, die
"Kenntnis über alle Vorgänge gehabt und [...] über alle dort
systematisch praktizierten Mordmethoden informiert gewesen" war, dafür
dass dieses Gefangenhalten und Ermorden überhaupt möglich war, weil sie
"durch ihre Arbeit "die reibungslose Funktionsfähigkeit des Lagers"
gesichert" hat.
<https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-10/kz-sekretaerin-stutthof-prozess-nationalsozialismus-mord>

Das wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer zu prüfen haben.

Und wenn man bedenkt, dass die BGH-Entscheidung, die den SS-Zahnarzt von
der Beihilfe freisprach:
| Die bloße Zugehörigkeit des freigesprochenen Angeklagten Dr. Sch. zum
| Lagerpersonal und seine Kenntnis von dem Vernichtungszweck des Lagers
| reichen nach allem nicht aus, ihm die während seines Lageraufenthalts
| begangenen Tötungen zuzurechnen. Von dem konkreten Anklagevorwurf, als
| SS-Zahnarzt Selektionen auf der Rampe durchgeführt und das Einwerfen
| des Giftgases in die Gaskammer überwacht zu haben, hat ihn das SchwurG
| ohne Rechtsfehler mangels Beweises freigesprochen. In der Ausübung
| seiner eigentlichen Tätigkeit im Lager, der zahnärztlichen Behandlung
| des SS-Personals, kann objektiv und subjektiv keine Beihilfe zu den
| Tötungshandlungen gesehen werden.
von 1969 ist, ist auch nicht gesagt, dass der BGH das 2021 ebenfalls so
sehen würde.
Post by Peter Heirich
Ja, ändert aber wenig am Grundproblem. Muss die Verjährung bei Beihilfe
zwangsweise identisch zur Haupttat sein ?
Sie muss nicht. Es ist allerdings ausgesprochen sinnvoll, sie daran zu
koppeln. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, auf die
Strafbarkeit der Haupttat abzustellen und Strafschärfungen oder
Strafmilderungen für besonders schwere oder minder schwere Fälle, aber
auch für Versuch, Anstiftung oder Beihilfe use. außer Acht zu lassen.
Post by Peter Heirich
Die reden da viel über Völkermord und schlimmste NS-Verbrechen. Und die
Vorhersage, dass kaum Fälle auftreten dürften, für welche die verlängerte
Verjährung zutreffend sein wird, ist wohl nicht haltbar, wenn man
Sekretärinnen und ähnliches Hilfpersonal im Blick gehabt hätte.
Zum einen: Wie viele hundert Verfahren wegen NS-Verbrachen gab es
seitdem denn?

Zum anderen: Ob die Einschätzung des Gesetzgebers zur Bedeutung oder den
Konsequenzen einer Norm falsch ist, ändert nichts an der Norm, sondern
allenfalls etwas an der Klugheit der Entscheidung.
Post by Peter Heirich
Da kommt man nur raus, wenn man das deutsche Recht verläßt und
internationales Recht benutzt.
So siehst Du das. Die Rechtsprechung sieht es anders.

Mutmaßlich ist letztere Sicht von größerer praktischer Bedeutung.

-thh
--
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Thomas Hochstein
2021-11-01 17:38:53 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Bei der Zentralen Stelle von "Verfolgungseifer" zu sprechen, macht
keinen Sinn; es ist vielmehr deren Daseinsgrund und einzige Aufgabe,
Vorermittlungen zu nationalsozialistischen Verbrechen zu führen und dazu
weltweit Material zu sichten, zu sammeln und auszuwerten, um - heute
noch lebende - Beschuldigte ausfindig zu machen, die sich an den Morden
der Nationalsozialisten beteiligt haben.
Ähm, damit hast du praktisch die Begründung FÜR diesen "Eifer" gebracht.
Wenn dein Job und dein ganzer Daseinszweck einzig davon abhängt, NS-Täter
zu finden, und wenn diese auf natürlichem Weg immer weniger werden, dann
konzentriert sich die ganze Energie schließlich auf eine 96-jährige
Ex-Sekretärin.
Wer möchte schließlich sich und seine Behörde für obsolet erklären?
Die Behörde hat keine eigenen Stellen, und niemand verliert seinen Job,
wenn sie schließt; jeder kehrt an seine alte Stelle zurück. Das gesamt
Personal wird von den Ländern im Wege der Abordnung gestellt, d.h. von
einer anderen Behörde (und zu Lasten von deren Stellenpool)
vorübergehend nach dort versetzt. Der einzige, der vielleicht potentiell
etwas "verliert", wäre der Leiter, weil es danach ja nichts mehr zu
leiten gibt - der ist aber wohlgemerkt (jetzt nur noch) Oberstaatsanwalt
(und nicht mehr Leitender Oberstaatsanwalt wie bisher), und eine
passende Stelle als Abteilungsleiter bei einer Staatsanwaltschaft oder
Dezernent bei einer Generalstaatsanwaltschaft ist da ebenfalls sicher.
Auch bei Staatsanwaltschaften (möglicherweise bei deren obersten
Vorgesetzten) fällt genauso auf, welche Fälle sie (mangels Kapazität) auf
die ganz lange Bank schieben und in welche sie alle ihre Energie
investieren. Auch das kann man verkürzt als "Eifer" bezeichnen.
Sicher, man kann vieles als vieles bezeichnen.
Sorry, du wirst das anders sehen, aber IMHO hast du da hervorragende
Begründungen FÜR das obige "Verfolgungseifer" geliefert und damit leider
auch dafür, dass es hier eher um einen "(politischen) Schauprozess" geht,
auch wenn man das mit "besonderer geschichtlicher Verantwortung"
umschwurbelt.
Das ist mir nicht nachvollziehbar, aber es wäre ja nicht neu, wenn sich
jemand seine ganz eigene Weltsicht zusammenbastelt.
Dass man nun eine damals gerade mal volljährige Sekretärin wegen Beihilfe
anklagt, während man die letzten 75 Jahre jede Menge *wirkliche* Täter
ignoriert hat,
Das hat man nicht.
riecht sehr danach, dass man *heute* aus ungenannten Gründen
(siehe Parallelposting) unbedingt irgendeine/n Täter/in brauchte und sie
die einzige war, die man dazu nicht ausgraben musste.
Ich hatte den Ablauf doch bereits geschildert:

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten war der Verfolgungseifer der Justiz
- nicht zuletzt sicherlich wegen vielfältiger personeller Kontinuitäten
- überschaubar. Erst 1958 gab es den Ulmer Einsatzgruppen-Prozess, an
den sich die Gründung der Zentralen Stelle angeschlossen hat; durch das
Wirken von Fritz Bauer kam es dann in den 60ern zu den Frankfuter
Auschwitzprozessen. In den 60er- und 70er-Jahren gab es dann eine ganze
Reihe von Prozessen gegen NS-Täter. Danach waren die meisten
verfolgbaren Taten und erreichbaren Täter abgeurteilt.

Einen gewissen Aufschwung nahm die Arbeit nach dem Verfall des Ostblocks
in den 90ern wegen der Möglichkeit, auf dortige Archive zurückzugreifen.

Erst die Änderung der Rechtsprechung im Demjanjuk-Prozess 2011 gab es
aber erfolgversprechende Ansätze, doch noch überlebende Täter zu
verfolgen. Danach wurde eine durchaus beachtliche Zahl von neuen
Verfahren an die zuständige Staatsanwaltschaften abgegeben, wobei in den
meisten Fällen die noch überlebenden Täter aber nicht mehr
verhandlungsfähig waren. Deshalb gab und gibt es nur wenige Prozesse.

Das alles lässt sich einfach nachlesen, sogar in der Wikipedia.

Das hindert Dich freilich nicht, stattdessen Verschwörungstheorien zu
erfinden. *schulterzuck*
Und ich bezweifle außerdem, dass man damit das erreicht, was man erreichen
zu wollen behauptet, und befürchte, dass man damit eher im Gegenteil dem
Rechtsstaat einen ziemlichen Bärendienst erweist.
Jaja.

-thh
--
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Isk Ender
2021-11-01 18:45:44 UTC
Permalink
Wieder ein Fall von, Sachkunde schadet einer "lebhaften" Diskussion.
Chapeau.
Peter.Fronteddu
2021-11-07 18:53:31 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten war der Verfolgungseifer der Justiz
- nicht zuletzt sicherlich wegen vielfältiger personeller Kontinuitäten
- überschaubar. Erst 1958 gab es den Ulmer Einsatzgruppen-Prozess, an
den sich die Gründung der Zentralen Stelle angeschlossen hat; durch das
Wirken von Fritz Bauer kam es dann in den 60ern zu den Frankfuter
Auschwitzprozessen.
BTW, Fritz Bauer im Frankfurter Kellerklub 1964

Find ich eine beeindruckende Person.

Peter

Thomas Hochstein
2021-10-25 17:55:02 UTC
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Post by Michael Ottenbruch
Das, was Du "Verfolgungseifer" nennst, ist Resultat des Urteils gegen
John Demjanjuk aus dem Jahre 2011. Vorher ist man davon ausgegangen, daß
eine derartige Verfolgung wegen Beihilfe nicht möglich sei. (Auch)
deswegen hat man es gelassen.
Und danach hat u.a. die Zentrale Stelle die dortigen
Vorprüfungsverfahren unter diesem Gesichtspunkt neu geprüft, weshalb es
(bundesweit) eine Welle von neuen Verfahren gab, bei denen die
Beschuldigten aber mehrheitlich nicht mehr verhandlungsfähig waren (so
jedenfalls im hiesigen Raum).

Einen ähnlichen Schub gab es bereits nach 1990, als die bis dahin
unzugänglichen Archive der Staates des vormaligen Ostblocks zugänglich
wurden.

-thh
Stefan Schmitz
2021-10-08 12:43:17 UTC
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Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Aber wovon hängt es nun ab, ob die Sekretärin mit ihren Tipparbeiten
Beihilfe geleistet hat?
Vielleicht erklärt Horst uns das ja noch, wer weiß?
Ich hoffte eigentlich auf Erklärungen von Fachleuten.
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Spielt es keine Rolle, ob die Straftat auch ohne die
Sekretariatsarbeiten erfolgen konnte?
Richtig. Es genügt eine Förderung oder Erleichterung der Tat, die die
Tat erst ermöglicht, sie erleichtert oder den Schaden vergrößern (die
Rechtsgutverletzung intensivieren).
Und inwiefern tun Sekretariatsarbeiten das?
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Dann hätten sich also auch die zitierten Fahrer und Brotlieferanten der
Beihilfe schuldig gemacht, wenn sie wussten, was drinnen abgeht?
Das ist eine Frage der Abgrenzung der Beihilfe im Bereich der sog.
"neutralen Handlungen". Die Literatur dazu ist einigermaßen
umfangreich.
Nach dem, was ich auf die Schnelle dazu gelesen habe, spricht viel
dafür, dass Sekretariatsarbeiten noch keine Beihilfe sind.

Bei Wachleuten ist das anders. Ohne Aufpasser wäre das Gefangenhalten
schwierig.
Thomas Hochstein
2021-10-08 20:59:41 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Richtig. Es genügt eine Förderung oder Erleichterung der Tat, die die
Tat erst ermöglicht, sie erleichtert oder den Schaden vergrößern (die
Rechtsgutverletzung intensivieren).
Und inwiefern tun Sekretariatsarbeiten das?
Wer weiß? Möglicherweise werden wir's am Ende des Verfahrens wissen.
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Das ist eine Frage der Abgrenzung der Beihilfe im Bereich der sog.
"neutralen Handlungen". Die Literatur dazu ist einigermaßen
umfangreich.
Nach dem, was ich auf die Schnelle dazu gelesen habe, spricht viel
dafür, dass Sekretariatsarbeiten noch keine Beihilfe sind.
Mag sein. Für ausgiebige Recherche der Rechtsprechung und Literatur zu
dem Thema fehlen mir derzeit Zeit u.v.a. Lust.
Post by Stefan Schmitz
Bei Wachleuten ist das anders. Ohne Aufpasser wäre das Gefangenhalten
schwierig.
Dazu gibt es ja auch bereits - einschlägige - Rechtsprechung.

-thh
Peter Heirich
2021-10-25 06:03:25 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Nach dem, was ich auf die Schnelle dazu gelesen habe, spricht viel
dafür, dass Sekretariatsarbeiten noch keine Beihilfe sind.
Jein. Mir ist unbekannt, ob konkret ...

Ich erinnere mich aus dem persönlichen Leben, dass mir 2x bei Versetzungen
die Personalbearbeiterin das Gelöbnis auf das Grundgesetz abgenommen hat.

Könnte Beihilfe sein, falls es ähnliches gab.

Peter
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