Discussion:
Mehrmals lebenslänglich
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2022-04-10 22:09:57 UTC
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Wenn jemand kurz nacheinander mehrere Morde begeht, kann er dann
mehrmals eine lebenslängliche Haft (für 15 Jahre) absitzen müssen?

Wird einer der Morde erst nach Verbüßung der 15 Jahre aufgeklärt, kann
man ja keine Gesamtstrafe mehr bilden. Muss er für den dann nochmal
lebenslänglich sitzen? Fände ich ungerecht.
Wenn das so ist, täte ein verurteilter Serienmörder gut daran, zeitnah
wirklich alle Taten zu gestehen, denn dann ist nur einmal lebenslänglich
drin.
Thomas Hochstein
2022-04-11 11:55:21 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Wenn jemand kurz nacheinander mehrere Morde begeht, kann er dann
mehrmals eine lebenslängliche Haft (für 15 Jahre) absitzen müssen?
§ 54 Abs. 1 S. 1 StGB.
Post by Stefan Schmitz
Wird einer der Morde erst nach Verbüßung der 15 Jahre aufgeklärt, kann
man ja keine Gesamtstrafe mehr bilden. Muss er für den dann nochmal
lebenslänglich sitzen? Fände ich ungerecht.
BGH, Beschluss vom 08.12.2009 - 5 StR 433/09
Reinhard Zwirner
2022-04-11 19:36:45 UTC
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Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Wenn jemand kurz nacheinander mehrere Morde begeht, kann er dann
mehrmals eine lebenslängliche Haft (für 15 Jahre) absitzen müssen?
§ 54 Abs. 1 S. 1 StGB.
Post by Stefan Schmitz
Wird einer der Morde erst nach Verbüßung der 15 Jahre aufgeklärt, kann
man ja keine Gesamtstrafe mehr bilden. Muss er für den dann nochmal
lebenslänglich sitzen? Fände ich ungerecht.
BGH, Beschluss vom 08.12.2009 - 5 StR 433/09
Falls es noch jemanden interessieren sollte:

"...
4. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit und in welcher Form der
Gedanke des Härteausgleichs in anders gelagerten Fällen Anwendung
finden müsste. Zu denken ist etwa an Konstellationen, in denen die
Aufklärung der vor einer Verurteilung begangenen, mit lebenslanger
Freiheitsstrafe zu ahndenden Tat über lange Zeit hinweg wegen noch
nicht vorhanden gewesener technischer Mittel nicht möglich gewesen
ist, oder an Fälle mit nicht erkennbaren Tatzusammenhängen. Bei
solchen Sachverhalten ist die getrennte Aburteilung Gegebenheiten
geschuldet, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Justiz
liegen; hinsichtlich der früheren Vollstreckung der erkannten Strafe
hatte sie lediglich ihre Vollstreckungspflicht erfüllt (BVerfGE 46,
214, 222 f.; 51, 324, 343). Unter solchen Umständen kann die
Verpflichtung zur Gewährung eines Härteausgleichs, jedenfalls in
Vollanrechnung, in Frage gestellt sein. ..."

Wenn ich das recht verstehe, ist dann also ein "Nachschlag" durchaus
nicht unwahrscheinlich.

Ciao

Reinhard
Frank Hucklenbroich
2022-04-19 12:39:30 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Wenn jemand kurz nacheinander mehrere Morde begeht, kann er dann
mehrmals eine lebenslängliche Haft (für 15 Jahre) absitzen müssen?
15 Jahre wohl nur bei guter Führung und positiver Sozialprognose.
Post by Stefan Schmitz
Wird einer der Morde erst nach Verbüßung der 15 Jahre aufgeklärt, kann
man ja keine Gesamtstrafe mehr bilden. Muss er für den dann nochmal
lebenslänglich sitzen? Fände ich ungerecht.
Wenn das so ist, täte ein verurteilter Serienmörder gut daran, zeitnah
wirklich alle Taten zu gestehen, denn dann ist nur einmal lebenslänglich
drin.
Wenn es genügend Taten sind, bekommt er u.U. Sicherungsverwahrung und sitzt
tatsächlich lebenslang.

Grüße,

Frank
Thomas Hochstein
2022-04-19 20:52:15 UTC
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Post by Frank Hucklenbroich
Post by Stefan Schmitz
Wenn das so ist, täte ein verurteilter Serienmörder gut daran, zeitnah
wirklich alle Taten zu gestehen, denn dann ist nur einmal lebenslänglich
drin.
Wenn es genügend Taten sind, bekommt er u.U. Sicherungsverwahrung und sitzt
tatsächlich lebenslang.
Wie unterscheiden sich denn die Voraussetzungen für die Aussetzung des
Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung und diejenigen für
die Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung?
Frank Hucklenbroich
2022-04-20 06:18:56 UTC
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Post by Thomas Hochstein
Post by Frank Hucklenbroich
Post by Stefan Schmitz
Wenn das so ist, täte ein verurteilter Serienmörder gut daran, zeitnah
wirklich alle Taten zu gestehen, denn dann ist nur einmal lebenslänglich
drin.
Wenn es genügend Taten sind, bekommt er u.U. Sicherungsverwahrung und sitzt
tatsächlich lebenslang.
Wie unterscheiden sich denn die Voraussetzungen für die Aussetzung des
Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung und diejenigen für
die Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung?
Wie oft wird letzteres denn geprüft? Bei der lebenslangen Freiheitsstrafe
doch wohl nach 15 Jahren. Gibt es dieses Recht bei der Sicherungsverwahrung
auch, und kommt es in der Praxis regelmäßig vor, daß man die nach einem
vergleichbaren Zeitraum aufhebt? Ich dachte immer, das wäre in den meisten
Fällen "endgültig".

Grüße,

Frank
Thomas Hochstein
2022-04-20 07:05:57 UTC
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Post by Frank Hucklenbroich
Post by Thomas Hochstein
Wie unterscheiden sich denn die Voraussetzungen für die Aussetzung des
Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung und diejenigen für
die Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung?
Wie oft wird letzteres denn geprüft? Bei der lebenslangen Freiheitsstrafe
doch wohl nach 15 Jahren. Gibt es dieses Recht bei der Sicherungsverwahrung
auch, und kommt es in der Praxis regelmäßig vor, daß man die nach einem
vergleichbaren Zeitraum aufhebt?
Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann frühestens nach 15 Jahren eine
Entlassung stattfinden; dann wird der Rest der Strafe zur Bewährung
ausgesetzt, innerhalb der Bewährungszeit kann die Strafaussetzung
widerrufen werden. Voraussetzung ist, dass "bei dem Verurteilten keine
Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene
Gefährlichkeit fortbesteht"; das hat ein Gutachter zu prüfen (§ 454 Abs. 2
StPO).

Bei der Sicherungsverwahrung ist hingegen jedes Jahr zu prüfen, ob die
weitere Vollstreckung zur Bewährung aususetzen oder die Unterbringung für
erledigt zu erklären ist. Die Voraussetzungen sind dieselben wie bei der
Bewährungsaussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Nach
10 Jahren wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung regelmäßig
für erledigt erklärt, es sei denn, dass "die Gefahr besteht, dass der
Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer
seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden". Wenn keine Entlassung
stattfindet, muss danach alle 9 Monate der weitere Vollzug geprüft werden.

Das heißt also:

Bei lebenslanger Freiheitsstrafe kommt der Verurteilte frühestens nach 15
Jahren auf Bewährung raus; frühestens dann wird das überhaupt erstmals
geprüft.

Bei der Sicherungsverwahrung ist hingegen jährlich zu prüfen; bereits nach
einem Jahr kann der Verurteilte "auf Bewährung" [1] - oder auch ohne! -
rauskommen. Nach 10 Jahren erfolgt im Regelfall die Entlassung; dann darf
sie nur unterbleiben, wenn schwere Straftaten drohen. Diese Entlassung
erfolgt dann ohne Bewährungszeit; es tritt zwar Führungsaufsicht ein, aber
man kann den Verurteilten nicht in die Sicherungsverwahrung zurückbringen.

Wenn also neben der lebenslangen Freiheitsstrafe auch die Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung angeordnet wird, hat das für die Praxis in der
Regel keine Auswirkung. Wenn nämlich die Voraussetzungen zur Aussetzung
des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung vorliegen,
liegen auch die Voraussetzungen vor, die die Aussetzung der Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung erfordern (§ 67c Abs. 1 StGB).
Post by Frank Hucklenbroich
Ich dachte immer, das wäre in den meisten Fällen "endgültig".
Die Regelungen fluktuieren. Mal war regelmäßig nach 10 Jahren eine
Beendigung vorgesehen, dann hat man diese Vorschrift abgeschafft, dann
kamen die Entscheidungen des EGMR und BVerfG zur Sicherungsverwahrung, die
zu mehrfachen tiefgreifenden Änderungen führten [2]; jetzt ist wieder
vorgesehen, dass die Sicherungsverwahrung nur unter besonderen Umständen
länger als 10 Jahre andauern darf.

-thh

[1] Es tritt dann Führungsaufsicht ein.
[2] Was auch dazu führt, dass die verschiedenen Varianten der
Sicherungsverwahrung, vorbehaltenen Sicherungsverwahrung und nachträglich
angeordneten Sicherungsverwahrung kaum mehr durchschaubar sind; dazu kommt
noch das intertemporale Kollisionsrecht, d.h. die Prüfung, welches Recht
auf ältere Taten/Entscheidungen anzuwenden ist.
--
Liste juristischer Online-Ressourcen: <https://th-h.de/law/lawlinks/>
Gesetzestexte, Rechtsprechung und Fundstellen: <http://dejure.org/>
Gesetze und Verordnungen (deutsches Bundesrecht): <http://buzer.de/>
Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>
Frank Hucklenbroich
2022-04-20 08:10:23 UTC
Permalink
Am Wed, 20 Apr 2022 09:05:57 +0200 schrieb Thomas Hochstein:

[viel Erklärendes]

Danke für die ausführliche Darstellung!

Grüße,

Frank

Diedrich Ehlerding
2022-04-20 07:16:22 UTC
Permalink
Post by Frank Hucklenbroich
Gibt es dieses Recht bei der Sicherungsverwahrung
auch, und kommt es in der Praxis regelmäßig vor, daß man die nach
einem vergleichbaren Zeitraum aufhebt?
<https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__67d.html> Absatz 2 spricht
von 10 Jahren; das ist aber kein Muss. . Aber auch schoin vorher muss
sogar jedes Jahr geprüft werden, ob noch eine Gefahr für die
Allgemeinheit besteht:
<https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__67e.html>.
--
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fingerprint = 2983 4D54 E00B 8483 B5B8 C7D1 D36A D663 E6DB 91A4
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