Discussion:
Klima-Blockierer mit körperlicher Gewalt von der Straße schieben
(zu alt für eine Antwort)
Thomas Hochstein
2023-09-01 06:54:17 UTC
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Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den Blockierer von
der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu notwendigen körperlichen
Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die
Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der Blockierer da nicht
sein darf, ja.
Ist die Blockade einer Straße Nötigung und ist das Benutzen der Straße
ein Individualrechtsgut?
Grundsätzlich ja.
Wie sieht es aus, wenn die Straßen-Blockade teil einer angemeldeten
Demonstration ist?
Anders. Behinderungen durch die Ausübung des Versammlungsrechts sind
grundsätzlich hinzunehmen.
Dietz Proepper
2023-09-01 09:00:48 UTC
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Post by Thomas Hochstein
Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den
Blockierer von der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu
notwendigen körperlichen Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die
Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der Blockierer da
nicht sein darf, ja.
Man sollte vielleicht anmerken, dass "notwendig" *nicht* umfasst, eine
angeklebte Hand mit einer Flex vom restlichen Körper zu trennen ...
--
+++ATH
Christian Treffler
2023-09-01 17:57:16 UTC
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Post by Dietz Proepper
Post by Thomas Hochstein
Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den
Blockierer von der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu
notwendigen körperlichen Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die
Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der Blockierer da
nicht sein darf, ja.
Man sollte vielleicht anmerken, dass "notwendig" *nicht* umfasst, eine
angeklebte Hand mit einer Flex vom restlichen Körper zu trennen ...
:-)
Ich weiß schon, warum ich "Blockier" schrieb, und nicht "Kleber".

CU,
Crhistian
Dietz Proepper
2023-09-03 13:41:40 UTC
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Post by Christian Treffler
Post by Dietz Proepper
Post by Thomas Hochstein
Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den
Blockierer von der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu
notwendigen körperlichen Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die
Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der Blockierer da
nicht sein darf, ja.
Man sollte vielleicht anmerken, dass "notwendig" *nicht* umfasst,
eine angeklebte Hand mit einer Flex vom restlichen Körper zu
trennen ...
:-)
Ich weiß schon, warum ich "Blockier" schrieb, und nicht "Kleber".
Man weiß ja nie ;-).

Ich würde sowas allerdings eher sein lassen. Du kannst die Person zwar
von der Straße entfernen. Wie aber verhinderst Du dass sich die Person
sofort wieder auf die Straße begibt während Du zu Deinem Auto zurück
kehrst?

Du könntest sie irgendwie fixieren, da sind wir ruck-zuck bei Freiheits-
beraubung oder sie so schwer verletzen dass sie ihre Tat nicht
fortsetzen kann. Das wäre dann die Richtung gefährliche Körper-
verletzung.

Ob das noch von Notwehr gedeckt ist wage ich zu bezweifeln, ibs da
durch das Entfernen von der Straße der *gegenwärtige* Angriff ja
abgewehrt ist und Notwehr nicht das Recht, mögliche zukünftige Angriffe
präventiv zu verhindern umfasst (man korrigiere mich ggf. bitte.)

Und last not least - bei Handgreiflichkeiten können so viel dumme
Sachen passieren. Drei Finger sind *so* schnell gebrochen, eine Nase,
die mit einer Stirn kollidiert kaputtgegangen usw. Und dann viel Spaß
beim Nachweis, dass dies vom Blockierer betrieben und nicht durch Deine
Ungeschicklichkeit verursacht wurde, ibs wenn der Blockierer sich nicht
"aktiv" wehrt.

TL;DR, wenn Du nicht ganz genau weißt, was Du treibst dann überlass'
sowas bitte, bitte den Profis.
--
+++ATH
Stefan Schmitz
2023-09-03 16:36:42 UTC
Permalink
Post by Dietz Proepper
Du könntest sie irgendwie fixieren, da sind wir ruck-zuck bei Freiheits-
beraubung oder sie so schwer verletzen dass sie ihre Tat nicht
fortsetzen kann. Das wäre dann die Richtung gefährliche Körper-
verletzung.
Ob das noch von Notwehr gedeckt ist wage ich zu bezweifeln, ibs da
durch das Entfernen von der Straße der *gegenwärtige* Angriff ja
abgewehrt ist und Notwehr nicht das Recht, mögliche zukünftige Angriffe
präventiv zu verhindern umfasst (man korrigiere mich ggf. bitte.)
Wenn er Anstalten macht, erneut anzugreifen, ist der Angriff IMHO noch
gegenwärtig, ohne dass er gerade stattfindet.
Sonst wäre gegen Beleidigung gar keine Notwehr möglich, weil die
einzelne Beleidigung naturgemäß nie gegenwärtig sein könnte. Ehe sie
ausgesprochen ist (und damit vergangen), weiß man nicht, ob es eine
Beleidigung ist.
Stefan+ (Stefan Froehlich)
2023-09-04 07:19:17 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Post by Dietz Proepper
Ob das noch von Notwehr gedeckt ist wage ich zu bezweifeln, ibs
da durch das Entfernen von der Straße der *gegenwärtige* Angriff
ja abgewehrt ist und Notwehr nicht das Recht, mögliche zukünftige
Angriffe präventiv zu verhindern umfasst (man korrigiere mich
ggf. bitte.)
Wenn er Anstalten macht, erneut anzugreifen, ist der Angriff IMHO
noch gegenwärtig, ohne dass er gerade stattfindet.
Sonst wäre gegen Beleidigung gar keine Notwehr möglich, weil die
einzelne Beleidigung naturgemäß nie gegenwärtig sein könnte. [...]
Man wundert sich immer wieder, aber tatsächlich, ihr seht das
in Deutschland wirklich dermaßen pauschal: "Notwehr ist die
Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden".

Rein persönlich finde ich es zwar in der Tat befremdlich, bei einer
Beleidigung von einem "gegenwärtigen" Angriff zu sprechen, aber wenn
euer BGH das so sieht, dann ist es halt so.

Bei uns definiert man Notwehr deutlich eingeschränkter als:
"[Verteidigung], um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden
rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche
Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit
oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren" und spart sich
damit solche Probleme - die Gegenwertigkeit bei Angriffen auf die
genannten Rechtsgüter ist deutlich einfacher festzustellen, und das
Abwehren eines Angriffs darauf zu diesem Zeitpunkt auch noch
hilfreich.

Und irgendwie erscheint mir diese Einengung auch praktisch ganz
sinnvoll, um z.B. Eskalationen von Schreiduellen hin zu körperlichen
Auseinandersetzungen zu vermeiden - war ja schließlich Notwehr (und
dann finde einmal heraus, wer mit dem Beleidigen begonnen hat).

Servus,
Stefan
--
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Stefan, so hervorragend wie die Moral. Männerträume werden wahr!
(Sloganizer)
Stefan Schmitz
2023-09-04 08:02:53 UTC
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Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Post by Stefan Schmitz
Post by Dietz Proepper
Ob das noch von Notwehr gedeckt ist wage ich zu bezweifeln, ibs
da durch das Entfernen von der Straße der *gegenwärtige* Angriff
ja abgewehrt ist und Notwehr nicht das Recht, mögliche zukünftige
Angriffe präventiv zu verhindern umfasst (man korrigiere mich
ggf. bitte.)
Wenn er Anstalten macht, erneut anzugreifen, ist der Angriff IMHO
noch gegenwärtig, ohne dass er gerade stattfindet.
Sonst wäre gegen Beleidigung gar keine Notwehr möglich, weil die
einzelne Beleidigung naturgemäß nie gegenwärtig sein könnte. [...]
Man wundert sich immer wieder, aber tatsächlich, ihr seht das
in Deutschland wirklich dermaßen pauschal: "Notwehr ist die
Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden".
Rein persönlich finde ich es zwar in der Tat befremdlich, bei einer
Beleidigung von einem "gegenwärtigen" Angriff zu sprechen, aber wenn
euer BGH das so sieht, dann ist es halt so.
"[Verteidigung], um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden
rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche
Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit
oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren" und spart sich
damit solche Probleme - die Gegenwertigkeit bei Angriffen auf die
genannten Rechtsgüter ist deutlich einfacher festzustellen, und das
Abwehren eines Angriffs darauf zu diesem Zeitpunkt auch noch
hilfreich.
Und irgendwie erscheint mir diese Einengung auch praktisch ganz
sinnvoll, um z.B. Eskalationen von Schreiduellen hin zu körperlichen
Auseinandersetzungen zu vermeiden - war ja schließlich Notwehr (und
dann finde einmal heraus, wer mit dem Beleidigen begonnen hat).
Solche Eskalationen sind ja gerade keine Notwehr, weil untauglich zum
Abwenden des Angriffs.
Gerald Gruner
2023-09-09 11:51:49 UTC
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Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Man wundert sich immer wieder, aber tatsächlich, ihr seht das
in Deutschland wirklich dermaßen pauschal: "Notwehr ist die
Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden".
Nicht vergessen, dass das dann ein Richter anwenden muss und es dazu beu^W
auslegt, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Da muss man sich schon an den
Kopf fassen, welches "Recht" manchmal "im Namen des Volkes" gesprochen
wird. Z.B. wurde eine Einzelperson, die sich gegen drei oder vier Schläger
(not)wehrt und dabei einen mit einer Nagelfeile(?) oder einem ziemlich
kleinen Messer verletzt, zu mehreren Jahren Haft verurteilt, weil das keine
Notwehr wäre...
Wenn DAS nicht Notwehr ist, was dann?

"Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand."

MfG
Gerald
--
"Derivatives are financial weapons of mass destrucion."
- Börsenguru Warren Buffet über manche "Finanzprodukte"
Stefan+ (Stefan Froehlich)
2023-09-04 07:25:15 UTC
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Post by Dietz Proepper
Post by Thomas Hochstein
Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den
Blockierer von der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu
notwendigen körperlichen Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf
die Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der
Blockierer da nicht sein darf, ja.
Ich würde sowas allerdings eher sein lassen. Du kannst die Person
zwar von der Straße entfernen. Wie aber verhinderst Du dass sich
die Person sofort wieder auf die Straße begibt während Du zu
Deinem Auto zurück kehrst?
Du könntest sie irgendwie fixieren, da sind wir ruck-zuck bei
Freiheitsberaubung [...]
Mich als des deutschen Rechts weitgehend unkundigen würde ja
zunächst einmal interessieren, inwiefern eine Straßenblockad, egal
ob mit oder ohne Kleber, wirklich die (bei uns nicht durch Notwehr
geschützte) Fortbewegungsfreiheit des anderen verletzt. So auf die
Schnelle finde ich da:

| Unter die positive Bewegungsfreiheit fällt unstreitig die Freiheit
| des Einzelnen, sich von einem Ort fortzubewegen und jeden
| beliebigen anderen Ort aufzusuchen (sog. Fortbewegungsfreiheit).
| Dort, wo man nicht bleiben will, muss man auch nicht bleiben.

Nun steht da vor mir jemand auf der Straße, die ich gerade entlang
fahren wollte und lässt mich nicht durch. Doof, das ist ja
eigentlich nicht (ohne weiteres) erlaubt... aber ich kann z.B.
jederzeit umdrehen und einen anderen Weg nehmen. Der einzige Ort,
den aufzusuchen mir der Demonstrant tatsächlich verwehrt, ist doch
der Fleck, auf dem er sitzt - für alle anderen Orte versperrt er
allenfalls den kürztesten Weg dahin (gehen wir einmal davon aus,
dass Klimademonstrationen eher nicht in Sackgassen oder privaten
Hauseinfahrten stattfinden).

Woher kommt also die Notwehrfähigkeit?

Servus,
Stefan
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Stefan - deiner grüsst geklauter oder auch versauter.
(Sloganizer)
Stefan Schmitz
2023-09-04 08:12:52 UTC
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Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Post by Dietz Proepper
Post by Thomas Hochstein
Wäre es durch Notwehr gedeckt, wenn ich aussteige und den
Blockierer von der Straße entferne? Unter Anwendung der dazu
notwendigen körperlichen Gewalt?
Wenn es sich um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf
die Fortbewegungsfreiheit handelt, vereinfacht: wenn der
Blockierer da nicht sein darf, ja.
Ich würde sowas allerdings eher sein lassen. Du kannst die Person
zwar von der Straße entfernen. Wie aber verhinderst Du dass sich
die Person sofort wieder auf die Straße begibt während Du zu
Deinem Auto zurück kehrst?
Du könntest sie irgendwie fixieren, da sind wir ruck-zuck bei
Freiheitsberaubung [...]
Mich als des deutschen Rechts weitgehend unkundigen würde ja
zunächst einmal interessieren, inwiefern eine Straßenblockad, egal
ob mit oder ohne Kleber, wirklich die (bei uns nicht durch Notwehr
geschützte) Fortbewegungsfreiheit des anderen verletzt.
Wie kommst du darauf, dass die bei euch nicht geschützt sei?
In deinem Zitat eurer Notwehrdefinition ist doch auch die Freiheit
aufgeführt. Ich fände es erstaunlich, wenn darunter nicht die
Fortbewegungsfreiheit fiele.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
So auf die
| Unter die positive Bewegungsfreiheit fällt unstreitig die Freiheit
| des Einzelnen, sich von einem Ort fortzubewegen und jeden
| beliebigen anderen Ort aufzusuchen (sog. Fortbewegungsfreiheit).
| Dort, wo man nicht bleiben will, muss man auch nicht bleiben.
Nun steht da vor mir jemand auf der Straße, die ich gerade entlang
fahren wollte und lässt mich nicht durch. Doof, das ist ja
eigentlich nicht (ohne weiteres) erlaubt... aber ich kann z.B.
jederzeit umdrehen und einen anderen Weg nehmen.
Kannst du z.B. auf der Autobahn nicht. Oder wenn hinter dir ein Stau
ist. Außerdem könnte das Ziel nur in der geplanten Richtung mit
vertretbarem Aufwand erreichbar sein.
Stefan+ (Stefan Froehlich)
2023-09-04 11:30:07 UTC
Permalink
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Du kannst die Person zwar von der Straße entfernen. Wie aber
verhinderst Du dass sich die Person sofort wieder auf die Straße
begibt während Du zu Deinem Auto zurück kehrst?
Mich als des deutschen Rechts weitgehend unkundigen würde ja
zunächst einmal interessieren, inwiefern eine Straßenblockad,
egal ob mit oder ohne Kleber, wirklich die (bei uns nicht durch
Notwehr geschützte) Fortbewegungsfreiheit des anderen verletzt.
Wie kommst du darauf, dass die bei euch nicht geschützt sei? In
deinem Zitat eurer Notwehrdefinition ist doch auch die Freiheit
aufgeführt. Ich fände es erstaunlich, wenn darunter nicht die
Fortbewegungsfreiheit fiele.
Leider scheint es dazu keine Judikatur zu geben. Unser RIS findet
lediglich zwei höchstgerichtliche Entscheidungen zur Notwehr im
Kontext von "Freiheit", eine bejahende:

[15Os136/96]
| Faustschläge gegen einen nachts im Zimmer des siebenjährigen
| (bereits gefesselten und geknebelten) Sohnes betretenen körperlich
| überlegenen und bewaffneten Einbrecher sind als zur Abwehr des
| rechtswidrigen Angriffes (insbesondere) auf die Freiheit und
| körperliche Integrität des Kindes notwendige und angemessene
| Handlungen (§ 3 Abs 1 StGB).

Und eine (wegen Notwehrexzess) verneinende:

[10Os89/83]
| Hochreißen beider Arme zur Befreiung aus einem Festhaltegriff mit
| in Händen gehaltenen Schistöcken, deren Spitzen nach oben
| gerichtet sind und hiebei stoßartig gegen das Gesicht des
| Angreifers wirken, überschreitet die Grenzen notwendiger
| Verteidigung gegen einen Angriff auf die persönliche Freiheit.

(Schöffen und Höchstgericht waren hier beide der Meinung, der
alkoholisierte Täter hätte seine Sorgfaltspflicht ausser acht
gelassen und vor seiner Notwehrhandlung die Schistöcke fallen lassen
müssen; er wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe
von 200 Tagsätzen verurteilt)


In beiden Fällen ist die "Freiheit" aber so eng definiert, wie ich
das hierzulande bisher auch stets verstanden hatte. Weiters gibt es
noch ein ganz interessantes Urteil aus dem Jahr 1969, das zeigt, wie
durchaus eng man Notwehr gegen sexuelle Übergriffe damals ausgelegt
hat:

[12Os31/69]
| Die weibliche Geschlechtsehre ist ein notwehrfähiges Rechtsgut,
| soweit ein Angriff auf sie einen Angriff auf Leben oder Freiheit
| enthält (zB bei Notzucht).

Die Geschlechtsehre per se darf man also nicht verteidigen, solange
nicht Freiheit oder Leben in Gefahr sind. Das könnte heute auch
anders gesehen werden.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
| Unter die positive Bewegungsfreiheit fällt unstreitig die
| Freiheit des Einzelnen, sich von einem Ort fortzubewegen und
| jeden beliebigen anderen Ort aufzusuchen (sog.
| Fortbewegungsfreiheit). Dort, wo man nicht bleiben will, muss
| man auch nicht bleiben.
Nun steht da vor mir jemand auf der Straße, die ich gerade entlang
fahren wollte und lässt mich nicht durch. Doof, das ist ja
eigentlich nicht (ohne weiteres) erlaubt... aber ich kann z.B.
jederzeit umdrehen und einen anderen Weg nehmen.
Kannst du z.B. auf der Autobahn nicht.
Gibt's bei euch denn Klimaproteste auf Autobahnen? Das ist hier eher
(vermutlich wegen akuter Lebensgefahr der Protestierenden) unüblich,
wenigstens ist mir derartiges nie aufgefallen.
Oder wenn hinter dir ein Stau ist.
Außerdem könnte das Ziel nur in der geplanten Richtung mit
vertretbarem Aufwand erreichbar sein.
Ich hielte "Notwehr" ja eher für die ultima ratio, als für ein
Mittel zur Durchsetzung der Freiheit auf eigene Bequemlichkeit. Aber
wenn das ein Gericht anders sieht, dann ist das natürlich so.

Servus,
Stefan
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Stefan - Freude auf den Brettern der Welt!
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Stefan Schmitz
2023-09-04 12:31:01 UTC
Permalink
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Du kannst die Person zwar von der Straße entfernen. Wie aber
verhinderst Du dass sich die Person sofort wieder auf die Straße
begibt während Du zu Deinem Auto zurück kehrst?
Mich als des deutschen Rechts weitgehend unkundigen würde ja
zunächst einmal interessieren, inwiefern eine Straßenblockad,
egal ob mit oder ohne Kleber, wirklich die (bei uns nicht durch
Notwehr geschützte) Fortbewegungsfreiheit des anderen verletzt.
Wie kommst du darauf, dass die bei euch nicht geschützt sei? In
deinem Zitat eurer Notwehrdefinition ist doch auch die Freiheit
aufgeführt. Ich fände es erstaunlich, wenn darunter nicht die
Fortbewegungsfreiheit fiele.
Leider scheint es dazu keine Judikatur zu geben. Unser RIS findet
lediglich zwei höchstgerichtliche Entscheidungen zur Notwehr im
[15Os136/96]
| Faustschläge gegen einen nachts im Zimmer des siebenjährigen
| (bereits gefesselten und geknebelten) Sohnes betretenen körperlich
| überlegenen und bewaffneten Einbrecher sind als zur Abwehr des
| rechtswidrigen Angriffes (insbesondere) auf die Freiheit und
| körperliche Integrität des Kindes notwendige und angemessene
| Handlungen (§ 3 Abs 1 StGB).
[10Os89/83]
| Hochreißen beider Arme zur Befreiung aus einem Festhaltegriff mit
| in Händen gehaltenen Schistöcken, deren Spitzen nach oben
| gerichtet sind und hiebei stoßartig gegen das Gesicht des
| Angreifers wirken, überschreitet die Grenzen notwendiger
| Verteidigung gegen einen Angriff auf die persönliche Freiheit.
Daraus geht doch klar hervor, dass ein Angriff auf die Freiheit
vorliegt, obwohl es "nur" um die Fortbewegungsmöglichkeit geht.

Lediglich die Notwendigkeit der gewählten Verteidigung war hier nicht
mehr gegeben.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
(Schöffen und Höchstgericht waren hier beide der Meinung, der
alkoholisierte Täter hätte seine Sorgfaltspflicht ausser acht
gelassen und vor seiner Notwehrhandlung die Schistöcke fallen lassen
müssen; er wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe
von 200 Tagsätzen verurteilt)
In beiden Fällen ist die "Freiheit" aber so eng definiert, wie ich
das hierzulande bisher auch stets verstanden hatte. Weiters gibt es
noch ein ganz interessantes Urteil aus dem Jahr 1969, das zeigt, wie
durchaus eng man Notwehr gegen sexuelle Übergriffe damals ausgelegt
[12Os31/69]
| Die weibliche Geschlechtsehre ist ein notwehrfähiges Rechtsgut,
| soweit ein Angriff auf sie einen Angriff auf Leben oder Freiheit
| enthält (zB bei Notzucht).
Die Geschlechtsehre per se darf man also nicht verteidigen, solange
nicht Freiheit oder Leben in Gefahr sind. Das könnte heute auch
anders gesehen werden.
Das scheint der wesentliche Unterschied zwischen AT und DE zu sein. Bei
uns ist auch die Ehre notwehrfähiges Rechtsgut.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
| Unter die positive Bewegungsfreiheit fällt unstreitig die
| Freiheit des Einzelnen, sich von einem Ort fortzubewegen und
| jeden beliebigen anderen Ort aufzusuchen (sog.
| Fortbewegungsfreiheit). Dort, wo man nicht bleiben will, muss
| man auch nicht bleiben.
Nun steht da vor mir jemand auf der Straße, die ich gerade entlang
fahren wollte und lässt mich nicht durch. Doof, das ist ja
eigentlich nicht (ohne weiteres) erlaubt... aber ich kann z.B.
jederzeit umdrehen und einen anderen Weg nehmen.
Kannst du z.B. auf der Autobahn nicht.
Gibt's bei euch denn Klimaproteste auf Autobahnen? Das ist hier eher
(vermutlich wegen akuter Lebensgefahr der Protestierenden) unüblich,
wenigstens ist mir derartiges nie aufgefallen.
Die Berliner Stadtautobahn war ein viel diskutierter Fall.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Oder wenn hinter dir ein Stau ist.
Außerdem könnte das Ziel nur in der geplanten Richtung mit
vertretbarem Aufwand erreichbar sein.
Ich hielte "Notwehr" ja eher für die ultima ratio, als für ein
Mittel zur Durchsetzung der Freiheit auf eigene Bequemlichkeit. Aber
wenn das ein Gericht anders sieht, dann ist das natürlich so.
Als Ultima Ratio wäre sie nutzlos, weil es immer andere Möglichkeiten
gäbe. Nur sind die halt nicht so schnell verfügbar oder wirksam.

Und ob man nun 2 Minuten auf der normalen Route oder eine Stunde auf
anderem Weg zum Ziel braucht, ist IMHO mehr als bloß Bequemlichkeit.


Übrigens: Sollte es tatsächlich möglich sein, ohne großen Zeitverlust
einfach umzudrehen und woanders langzufahren, wäre die Verteidigung
nicht mehr notwendig, also keine Notwehr.
Stefan+ (Stefan Froehlich)
2023-09-04 12:55:33 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
[...] inwiefern eine Straßenblockad[e], egal ob mit oder ohne
Kleber, wirklich die (bei uns nicht durch Notwehr geschützte)
Fortbewegungsfreiheit des anderen verletzt.
Wie kommst du darauf, dass die bei euch nicht geschützt sei? In
deinem Zitat eurer Notwehrdefinition ist doch auch die Freiheit
aufgeführt. Ich fände es erstaunlich, wenn darunter nicht die
Fortbewegungsfreiheit fiele.
Leider scheint es dazu keine Judikatur zu geben. Unser RIS findet
lediglich zwei höchstgerichtliche Entscheidungen zur Notwehr im
[15Os136/96]
| Faustschläge gegen einen nachts im Zimmer des siebenjährigen
| (bereits gefesselten und geknebelten) Sohnes betretenen körperlich
| überlegenen und bewaffneten Einbrecher sind als zur Abwehr des
| rechtswidrigen Angriffes (insbesondere) auf die Freiheit und
| körperliche Integrität des Kindes notwendige und angemessene
| Handlungen (§ 3 Abs 1 StGB).
[10Os89/83]
| Hochreißen beider Arme zur Befreiung aus einem Festhaltegriff mit
| in Händen gehaltenen Schistöcken, deren Spitzen nach oben
| gerichtet sind und hiebei stoßartig gegen das Gesicht des
| Angreifers wirken, überschreitet die Grenzen notwendiger
| Verteidigung gegen einen Angriff auf die persönliche Freiheit.
Daraus geht doch klar hervor, dass ein Angriff auf die Freiheit
vorliegt, obwohl es "nur" um die Fortbewegungsmöglichkeit geht.
Lediglich die Notwendigkeit der gewählten Verteidigung war hier
nicht mehr gegeben.
Ich schrieb ja, dass es nur wegen des Exzesses verneint wurde; eine
höchstgerichtliche Entscheidung wegen grundsätzlich unberechtigter
Notwehr (mit dem zusätzlichen Stichwort "Freiheit") gab es
hierzulande offenbar überhaupt noch nie.

Aber auch im zweiten Beispiel wurde jemand vollständig
bewegungsunfähig gemacht; das ist schon eine deutlich andere
Einschränkung der Freiheit, als eine blockierte Straße.
Post by Stefan Schmitz
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
[12Os31/69]
| Die weibliche Geschlechtsehre ist ein notwehrfähiges Rechtsgut,
| soweit ein Angriff auf sie einen Angriff auf Leben oder
| Freiheit enthält (zB bei Notzucht).
Die Geschlechtsehre per se darf man also nicht verteidigen,
solange nicht Freiheit oder Leben in Gefahr sind. Das könnte
heute auch anders gesehen werden.
Das scheint der wesentliche Unterschied zwischen AT und DE zu
sein. Bei uns ist auch die Ehre notwehrfähiges Rechtsgut.
Wenn man Gerichten Interpretationsspielraum schaffen möchte, ist das
sicherlich eine gute Gelegenheit :-)
Post by Stefan Schmitz
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)
Ich hielte "Notwehr" ja eher für die ultima ratio, als für ein
Mittel zur Durchsetzung der Freiheit auf eigene Bequemlichkeit.
Aber wenn das ein Gericht anders sieht, dann ist das natürlich
so.
Als Ultima Ratio wäre sie nutzlos, weil es immer andere
Möglichkeiten gäbe. Nur sind die halt nicht so schnell verfügbar
oder wirksam.
Und ob man nun 2 Minuten auf der normalen Route oder eine Stunde
auf anderem Weg zum Ziel braucht, ist IMHO mehr als bloß
Bequemlichkeit.
Das würde ich unter allgemeinem Lebensrisiko subsummieren: Ob man
wegen einer Demonstration, wegen eines Unfalls oder einfach nur
wegen allgemeiner Verkehrsüberlastung 2 Stunden im Stau steht, macht
subjektiv keinen Unterschied - damit rechnen und leben muss man als
Autofahrer jedenfalls. War die Demonstration rechtswidrig, ist das
eine Sache zwischen den Demonstranten und dem Staat.

Servus,
Stefan
--
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Stefan - die lustigste Erleuchtung der Romantik!
(Sloganizer)
Helmut Richter
2023-09-04 16:35:24 UTC
Permalink
In beiden FÀllen ist die "Freiheit" aber so eng definiert, wie ich
das hierzulande bisher auch stets verstanden hatte.
Ich bin (a) Deutscher (daher ein anderes Notwehrrecht) und (b) kein
Jurist.

Soweit ich weiß, wird im deutschen Recht keine VerhÀltnismÀßigkeit
gefordert, sondern nur Notwendigkeit. Deswegen gibt es – hoffentlich nur
theoretische – Debatten darÃŒber, unter welchen UmstÀnden man auf die
Nachbarsbuben schießen darf, die gerade im Kirschbaum sitzen und Kirschen
illegal ernten. Unter der Voraussetzung, dass man den Angriff auf das
Eigentum anders nicht schÃŒtzen kann, ist wohl viel erlaubt;
verhÀltnismÀßig braucht es nicht zu sein.
Weiters gibt es
noch ein ganz interessantes Urteil aus dem Jahr 1969, das zeigt, wie
durchaus eng man Notwehr gegen sexuelle Übergriffe damals ausgelegt
[12Os31/69]
| Die weibliche Geschlechtsehre ist ein notwehrfÀhiges Rechtsgut,
| soweit ein Angriff auf sie einen Angriff auf Leben oder Freiheit
| enthÀlt (zB bei Notzucht).
Die Geschlechtsehre per se darf man also nicht verteidigen, solange
nicht Freiheit oder Leben in Gefahr sind. Das könnte heute auch
anders gesehen werden.
Ich habe gerade einen Aufruf fÌr ein europÀisches Gesetz gegen Gewalt an
Frauen, das den Fall Rubiales (KÃŒssen einer Fußballspielerin) als
AufhÀnger hernimmt. Im gleichen Aufruf werden noch andere FÀlle von Gewalt
gegen Frauen thematisiert. HÀÀh? Der Kuss ist eine UnverschÀmtheit, eine
Körperverletzung, eine Beleidigung, vielleicht noch mehr, aber er gehört
nicht in eine Reihe gestellt mit Missbrauch aller Art, Notzucht und
sonstigen FÀllen von sexuellen Gewaltverbrechen.

Mich gehts nicht viel an. Erstens bin ich kein Fussballer und riskiere
daher nicht, im Falle eines Sieges von einer begeisterten Dame gegen
meinen Willen gekÃŒsst zu werden. Zweitens gehts hier nur um sexualisierte
Gewalt gegen Frauen, nicht gegen MÀnner. Und die warten ja nach gÀngigem
Klischee darauf angemacht zu werden – kann also gar nicht gegen ihren
Willen sein.
--
Helmut Richter
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