Discussion:
Revisionsbegründungsfrist
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2021-08-13 07:46:18 UTC
Permalink
Eben lese ich in der Zeitung, dass die Revisionen im NSU-Prozess seit
Januar dem zuständigen BGH-Senat vorliegen. Das Urteil ist von 2018.

Da frage ich, was in den mehr als zwei Jahren dazwischen mit den
Revisionen passiert ist. Zuerst also nach der Begründungsfrist geschaut.
§ 345 StPO sieht da maximal drei Monate vor. Gibt es da noch
Sonderregelungen, die in diesem Fall eine längere Frist erlaubt haben?
Wenn nein, warum kommen die dann trotzdem erst so spät am BGH an? Wann
war eigentlich die Urteilsbegründung fertig?


Einen Punkt verstehe ich an diesem Paragraphen auch nicht. Wenn das
Urteil erst spät zu den Akten gebracht wird, beginnt die
Begründungsfrist nicht mit Zustellung des Urteils, sondern mit der
Mitteilung des Zeitpunktes, wann es zu den Akten gebracht wurde.

Warum diese Unterscheidung? Für denjenigen, der eine Revision begründen
muss, kommt es doch darauf an, dass er die schriftliche
Urteilsbegründung vorliegen hat, also auf die Zustellung. Was spielt es
da für eine Rolle, wann gerichtsintern etwas in die Akten kommt?
Außerdem wird dadurch die Frist verkürzt, denn vermutlich wird erst nach
Aktenlegung zugestellt. (Sollte die Reihenfolge umgekehrt sein,
erschlösse sich mir auch nicht, wozu auf diese Weise die Frist noch
etwas verlängert wird.)
Thomas Hochstein
2021-08-13 22:13:38 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Eben lese ich in der Zeitung, dass die Revisionen im NSU-Prozess seit
Januar dem zuständigen BGH-Senat vorliegen. Das Urteil ist von 2018.
Das Urteil wurde im Juli 2018 verkündet. Die Urteilsabsetzungsfrist
lief nach 438 Verhandlungstagen aber über 21 Monate bis zum April 2020
und wurde vom OLG ausgeschöpft.

Danach wird das Urteil zugestellt, mit der Zustellung beginnt die
einmonatige Begründungsfrist. Die Begründungen werden der Gegenpartei
zugestellt, die dann Gegenerklärungen abgeben kann; die
Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, zu Verfahrensrügen
Gegenerklärungen abzugeben. Wenn das alles erledigt ist, werden die
Akten über die Staatsanwaltschaft dem Revisionsgericht vorgelegt,
gehen also normalerweise von der StA (ggf. über die GenStA) zum GBA.
Der GBA schaut sich das alles an und verfasst eine Zuschrift an den
BGH mit entsprechenden Anträgen; in den Fällen, in denen Revisionen
auf Antrag des GBA einstimmig verworfen werden - also der weit
überwiegenden Zahl -, gibt der BGH dazu nur eine kurze oder gar keine
Begründung. Die Gründe finden sich dann in der Zuschrift des GBA.

Bei dem Umfang der Sache passt das mit dem Zeitraum: wenn das Urteil
im April fertig war, muss die Zustellung verfügt und ausgeführt
werden, das mag ~ eine Woche in Anspruch nehmen, bei dem Umfang des
Urteils mit über 3.000 Seiten eher mehr - man muss es ja drucken und
binden. Vermutlich im Mai beginnt also die Begründungsfrist zu laufen
und endet im Juni. Dann sind die Begründungen zuzustellen und es gibt
die Gelegenheit zu Gegenerklärungen; das kann sonst auch schon mal ein
paar Wochen dauern, dürfte hier aber kaum ins Gewicht fallen, weil der
GBA ja zugleich die Instanzstaatsanwaltschaft war. Irgendwann im
Juli/August werden dann also die Akten - vermutlich Lkw-weise - vom
OLG an den GBA geschickt. Dass der in einer solchen Umfangssache für
seine Zuschrift ein paar Monate braucht, überrascht nicht. (Vor allem,
weil der Senat die Sache ja in der Regel mit der Zuschrift mundgerecht
aufgearbeitet bekommt und offenbar dennoch recht lange darüber
gebrütet hat.) Danach geht es an den BGH, wird vom Vorsitzenden des
zuständigen Senats dem Berichterstatter zugeschrieben, bearbeitet und
irgendwann beraten.
Post by Stefan Schmitz
Da frage ich, was in den mehr als zwei Jahren dazwischen mit den
Revisionen passiert ist. Zuerst also nach der Begründungsfrist geschaut.
§ 345 StPO sieht da maximal drei Monate vor.
Das ist die Neufassung vom Juli 2021. Davor - also auch hier - war es
unabänderlich ein Monat. (Der NSU-Prozess war ein Anlass, die Regelung
zu ändern.)
Post by Stefan Schmitz
Gibt es da noch
Sonderregelungen, die in diesem Fall eine längere Frist erlaubt haben?
Nein.
Post by Stefan Schmitz
Wenn nein, warum kommen die dann trotzdem erst so spät am BGH an?
Siehe oben.
Post by Stefan Schmitz
Wann war eigentlich die Urteilsbegründung fertig?
April 2020, siehe oben.
Post by Stefan Schmitz
Einen Punkt verstehe ich an diesem Paragraphen auch nicht. Wenn das
Urteil erst spät zu den Akten gebracht wird, beginnt die
Begründungsfrist nicht mit Zustellung des Urteils, sondern mit der
Mitteilung des Zeitpunktes, wann es zu den Akten gebracht wurde.
Sollte man denken, ist aber nicht so - das ist eine verquaste
Formulierung, die der Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz in
das Gesetz "zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur
Änderung weiterer Vorschriften" eingebracht hat.

§ 345 Abs. 1 StPO lautete bis 30.06.2021 wie folgt:
| Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines
| Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem
| Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. War zu dieser
| Zeit das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der
| Zustellung.

Der Gesetzentwurf wollte daraus folgendermaßen eine gestaffelte Frist
machen:
| Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines
| Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem
| Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die
| Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als
| einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden
| ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen
| nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen
| weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des
| Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist
| mit der Zustellung.

Der Rechtsausschuss hat da jetzt die heutige Fassung von Satz 3 draus
gemacht:
| [...] War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das
| Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung
| des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des
| Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

Damit sollte erreicht werden, dass immer dann, wenn sich die Frist
verlängert, zusammen mit der Zustellung des Urteils auch mitgeteilt
wird, wie lange es bis zur Absetzung gedauert hat - damit man weiß,
wie lang die Begründungsfrist ist.

Die Frist beginnt also nicht "mit der Zustellung der Mitteilung des
Zeitpunktes, zu dem [das Urteil] zu den Akten gebracht ist", sondern
mit der Zustellung des Urteils _und_ der Mitteilung usw.
Post by Stefan Schmitz
Warum diese Unterscheidung? Für denjenigen, der eine Revision begründen
muss, kommt es doch darauf an, dass er die schriftliche
Urteilsbegründung vorliegen hat, also auf die Zustellung. Was spielt es
da für eine Rolle, wann gerichtsintern etwas in die Akten kommt?
Außerdem wird dadurch die Frist verkürzt, denn vermutlich wird erst nach
Aktenlegung zugestellt. (Sollte die Reihenfolge umgekehrt sein,
erschlösse sich mir auch nicht, wozu auf diese Weise die Frist noch
etwas verlängert wird.)
Die Frist beginnt immer mit der Zustellung. Damit der Empfänger aber
weiß, dass er eine verlängerte Frist nutzen kann, bekommt er in diesen
Fällen zusammen mit dem Urteil auch eine Mitteilung zugestellt, wie
lange das Gericht für die Urteilsabsetzung gebraucht hat. (Ja, das
hätte man unbedingt anders formulieren sollen. Aber es passieren
seltsame Dinge, wenn die Ausschüsse sich an Gesetzen verkünsteln ...)

-thh
--
Liste juristischer Online-Ressourcen: <https://th-h.de/law/lawlinks/>
Gesetzestexte, Rechtsprechung und Fundstellen: <http://dejure.org/>
Gesetze und Verordnungen (deutsches Bundesrecht): <http://buzer.de/>
Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>
Wolfgang Fieg
2021-08-14 06:29:17 UTC
Permalink
... Ja, das
hätte man unbedingt anders formulieren sollen. Aber es passieren
seltsame Dinge, wenn die Ausschüsse sich an Gesetzen verkünsteln ...)
Es gibt halt immer wieder Abgeordnete, die Art. 77 (1) GG wörtlich
nehmen. Gegen legistische Übungen im Ausschuss ist kein Kraut gewachsen.

Aber im Ernst: Es stellt sich doch die Frage, warum im Strafprozess die
Rechtsmitteleinlegungs- und begründungsfristen so stark abweichend von
den sonstigen Prozessordnungen geregelt sind. Insbesondere dass der Lauf
der Einlegungsfristen schon mit der Urteilsverkündung beginnt, also
ohne, dass dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Erwägungen des
Gerichts überhaupt im Detail bekannt sind, halte ich für problematisch.
Er darf ja noch nicht einaml die mündlichen Urteilsgründe aufzeichnen.

Was spricht eiegtnlich dagegen, die Fristen so zu regeln, wie in anderen
Verfahrensarten auch: Einlegunsgfrist ein Monat nach Zustellung der
volständig abgefassten Entscheidung, Begründugungsfrist zwei Moante mit
Verlängerungsmöglichkeit bei Umfangsverfahren?

Wolfgang
Thomas Homilius
2021-08-14 13:05:11 UTC
Permalink
Post by Wolfgang Fieg
Was spricht eiegtnlich dagegen, die Fristen so zu regeln, wie in anderen
Verfahrensarten auch: Einlegunsgfrist ein Monat nach Zustellung der
volständig abgefassten Entscheidung, Begründugungsfrist zwei Moante mit
Verlängerungsmöglichkeit bei Umfangsverfahren?
Ich nehme mal an, wenn der Verurteilte Rechtsmittel gegen das
Strafurteil einlegt, dass dann die Urteilsbegruendung umfangreicher ist.
Ohne rechtzeitiger Berufung bekommst du nur einen Zweizeiler als
Begruendung. So ist es mir in 2006 passiert:
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Thomas Homilius
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Thomas Hochstein
2021-08-14 14:05:31 UTC
Permalink
Post by Wolfgang Fieg
Aber im Ernst: Es stellt sich doch die Frage, warum im Strafprozess die
Rechtsmitteleinlegungs- und begründungsfristen so stark abweichend von
den sonstigen Prozessordnungen geregelt sind. Insbesondere dass der Lauf
der Einlegungsfristen schon mit der Urteilsverkündung beginnt, also
ohne, dass dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Erwägungen des
Gerichts überhaupt im Detail bekannt sind, halte ich für problematisch.
Warum? Entscheidend ist doch, ob man mit dem Ergebnis leben bzw. sich
ein besseres Ergebnis in der nächsten Instanz erhoffen kann. Das weiß
man mit der Verkündung des Urteils, oder ggf. wenn man eine Nacht
darüber geschlafen hat - und was das Gericht sich bei der
Urteilsfindung gedacht hat, weiß man nach der mündlichen Begründung
auch.

Was in den schriftlichen Urteilsgründen steht, ist demgegenüber
allenfalls für den Erfolg des Rechtsmittels von Bedeutung (bei der
Berufung noch nicht einmal das). Dann kann man im Übrigen sein
Rechtsmittel auch jederzeit zurücknehmen (oder als Angeklagter "Ich
rüge die Verletzung sachlichen Rechts" schreiben (lassen) und das
beste hoffen, schlimmer kann es ja im Regelfall nicht mehr kommen).
Post by Wolfgang Fieg
Er darf ja noch nicht einaml die mündlichen Urteilsgründe aufzeichnen.
Wozu auch? Die haben für den Erfolg des Rechtsmittels keinerlei
Bedeutung.
Post by Wolfgang Fieg
Was spricht eiegtnlich dagegen, die Fristen so zu regeln, wie in anderen
Verfahrensarten auch: Einlegunsgfrist ein Monat nach Zustellung der
volständig abgefassten Entscheidung, Begründugungsfrist zwei Moante mit
Verlängerungsmöglichkeit bei Umfangsverfahren?
Dagegen spricht der Beschleunigungsgrundsatz, und hinsichtlich der
Einlegungsfrist der Bedarf.

-thh
--
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Ulf Kutzner
2021-08-15 06:03:27 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Wolfgang Fieg
Aber im Ernst: Es stellt sich doch die Frage, warum im Strafprozess die
Rechtsmitteleinlegungs- und begründungsfristen so stark abweichend von
den sonstigen Prozessordnungen geregelt sind. Insbesondere dass der Lauf
der Einlegungsfristen schon mit der Urteilsverkündung beginnt, also
ohne, dass dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Erwägungen des
Gerichts überhaupt im Detail bekannt sind, halte ich für problematisch.
Warum? Entscheidend ist doch, ob man mit dem Ergebnis leben bzw. sich
ein besseres Ergebnis in der nächsten Instanz erhoffen kann. Das weiß
man mit der Verkündung des Urteils, oder ggf. wenn man eine Nacht
darüber geschlafen hat - und was das Gericht sich bei der
Urteilsfindung gedacht hat, weiß man nach der mündlichen Begründung
auch.
"Der Angeklagte ist Ausländer, Asylbewerber und Drogenhändler. Das ist
alles, was zu seiner Person zu sagen ist." (zu einer Verurteilung wegen Totschlags).
Stefan Schmitz
2021-08-14 09:14:10 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Eben lese ich in der Zeitung, dass die Revisionen im NSU-Prozess seit
Januar dem zuständigen BGH-Senat vorliegen. Das Urteil ist von 2018.
Das Urteil wurde im Juli 2018 verkündet. Die Urteilsabsetzungsfrist
lief nach 438 Verhandlungstagen aber über 21 Monate bis zum April 2020
und wurde vom OLG ausgeschöpft.
Danach wird das Urteil zugestellt, mit der Zustellung beginnt die
einmonatige Begründungsfrist.
Das ist aber ein heftiges Missverhältnis. Das Gericht hat für die
Urteilsbegründung fast zwei Jahre gebraucht, die davon abhängige
Revisionsbegründung muss dann aber innerhalb eines Monats (oder
neuerdings drei) fertig sein. Warum nicht für beide Fristen die gleiche
Größenordnung?
Post by Thomas Hochstein
Die Begründungen werden der Gegenpartei
zugestellt, die dann Gegenerklärungen abgeben kann; die
Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, zu Verfahrensrügen
Gegenerklärungen abzugeben. Wenn das alles erledigt ist, werden die
Akten über die Staatsanwaltschaft dem Revisionsgericht vorgelegt,
gehen also normalerweise von der StA (ggf. über die GenStA) zum GBA.
Der GBA schaut sich das alles an und verfasst eine Zuschrift an den
BGH mit entsprechenden Anträgen; in den Fällen, in denen Revisionen
auf Antrag des GBA einstimmig verworfen werden - also der weit
überwiegenden Zahl -, gibt der BGH dazu nur eine kurze oder gar keine
Begründung. Die Gründe finden sich dann in der Zuschrift des GBA.
Wie kommt denn da der GBA und dessen Zuschrift ins Spiel? Davon finde
ich nichts in der StPO.
Post by Thomas Hochstein
| Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines
| Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem
| Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. War zu dieser
| Zeit das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der
| Zustellung.
Der Gesetzentwurf wollte daraus folgendermaßen eine gestaffelte Frist
| Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines
| Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem
| Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die
| Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als
| einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden
| ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen
| nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen
| weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des
| Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist
| mit der Zustellung.
Der Rechtsausschuss hat da jetzt die heutige Fassung von Satz 3 draus
| [...] War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das
| Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung
| des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des
| Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
Damit sollte erreicht werden, dass immer dann, wenn sich die Frist
verlängert, zusammen mit der Zustellung des Urteils auch mitgeteilt
wird, wie lange es bis zur Absetzung gedauert hat - damit man weiß,
wie lang die Begründungsfrist ist.
Die Frist beginnt also nicht "mit der Zustellung der Mitteilung des
Zeitpunktes, zu dem [das Urteil] zu den Akten gebracht ist", sondern
mit der Zustellung des Urteils _und_ der Mitteilung usw.
Und wenn die Mitteilung nicht gleichzeitig mit der Zustellung erfolgt,
gilt der spätere Zeitpunkt?

Wozu braucht man denn überhaupt die Mitteilung über die Absetzungsdauer?
Man sieht doch selbst im Kalender, wie lange die Urteilsverkündung her ist.


Vielen Dank übrigens für die ausführliche Erklärung.
Thomas Hochstein
2021-08-14 14:05:31 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Das ist aber ein heftiges Missverhältnis. Das Gericht hat für die
Urteilsbegründung fast zwei Jahre gebraucht, die davon abhängige
Revisionsbegründung muss dann aber innerhalb eines Monats (oder
neuerdings drei) fertig sein. Warum nicht für beide Fristen die gleiche
Größenordnung?
Weil es sehr viel aufwendiger ist, einen Text zu verfassen als sich
mit ihm auseinanderzusetzen.
Post by Stefan Schmitz
Wie kommt denn da der GBA und dessen Zuschrift ins Spiel? Davon finde
ich nichts in der StPO.
§ 349 Abs. 2, 3 StPO.

Die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht hat die Akten mit einem
Antrag vorzulegen, den sie auch zu begründen hat.
Post by Stefan Schmitz
Und wenn die Mitteilung nicht gleichzeitig mit der Zustellung erfolgt,
gilt der spätere Zeitpunkt?
Das ist eine der Fragen, die die Neufassung aufwirft, ja.
Post by Stefan Schmitz
Wozu braucht man denn überhaupt die Mitteilung über die Absetzungsdauer?
Man sieht doch selbst im Kalender, wie lange die Urteilsverkündung her ist.
Man weiß aber nicht, wann das Urteil fertig war, d.h. zu den Akten
gelangt ist. Danach wird es ja nicht auf den Schreibtisch des
Verteidigers gebeamt; vielmehr müssen Abschriften hergestellt und
versandt werden, das ganze dann in den Postausgang gehen und die Post
(häufig: private regionale Zustelldienste, die die Ausschreibung wegen
günstiger Preise gewonnen haben) muss es zustellen. Ein paar Tage
kommen da in jedem Fall zusammen; wenn man weiß, dass es bei manchen
Gerichten Wochen dauert, bis ein simples Schreiben erstellt und
versandt wird, weiß man auch, dass der Zeitrahmen schwer abschätzbar
ist. Da es aber auf den Tag ankommt, an dem das Urteil auf der
Geschäftsstelle eingegangen ist (vielleicht am letzten oder vorletzten
Tag der 21. Woche, obschon es erst in der 22. Woche bearbeitet wird),
macht es Sinn, den entsprechenden Zeitpunkt mitzuteilen. Auf dem
Original des Urteils in der Akte ist er ja eh vermerkt (§ 275 Abs. 1
S. 5 StPO).
Post by Stefan Schmitz
Vielen Dank übrigens für die ausführliche Erklärung.
Gern!

-thh
--
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Stefan Schmitz
2021-08-14 18:34:14 UTC
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Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Das ist aber ein heftiges Missverhältnis. Das Gericht hat für die
Urteilsbegründung fast zwei Jahre gebraucht, die davon abhängige
Revisionsbegründung muss dann aber innerhalb eines Monats (oder
neuerdings drei) fertig sein. Warum nicht für beide Fristen die gleiche
Größenordnung?
Weil es sehr viel aufwendiger ist, einen Text zu verfassen als sich
mit ihm auseinanderzusetzen.
Das Argument kann ich nicht nachvollziehen. Mit der Begründung muss ja
selbst ein neuer Text verfasst werden. Und die Urteilsbegründung ist
auch eine Auseinandersetzung mit den Texten aus der Hauptverhandlung.

Die Schwierigkeit ist doch wohl, eine juristisch saubere
Argumentationskette zusammenzubekommen. Einen prinzipiellen Unterschied
zwischen den beiden Begründungen sehe ich da nicht.
Einziger Vorteil bei der Revision ist, dass man sich auf die Punkte
konzentrieren kann, die man angreifen will.
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Wie kommt denn da der GBA und dessen Zuschrift ins Spiel? Davon finde
ich nichts in der StPO.
§ 349 Abs. 2, 3 StPO.
Die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht hat die Akten mit einem
Antrag vorzulegen, den sie auch zu begründen hat.
Dort steht nicht, dass es eine andere Staatsanwaltschaft ist als die aus
§ 347 II. Darum wäre ich nicht auf den GBA gekommen.

Wird denn ebenso verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft Revision einlegt?
Thomas Hochstein
2021-08-14 20:06:22 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Weil es sehr viel aufwendiger ist, einen Text zu verfassen als sich
mit ihm auseinanderzusetzen.
Das Argument kann ich nicht nachvollziehen.
Dann schreib mal einen längeren fachlichen Text, vielleicht im Umfang
einer der größeren FAQs in de.answers, so ~ 2.000 Zeilen, und ich
schaue drüber und suche nach einem logischen Fehler. Wetten, dass Du
Tage brauchst und ich vielleicht eine Stunde?

Es wäre auch schlimm, wenn das anders wäre und - bspw. - die Korrektur
von Prüfungs- und Abschlussarbeiten oder gar wissenschaftlichen
Publikationen genauso lange dauern würde wie deren Erarbeitung ...
Post by Stefan Schmitz
Mit der Begründung muss ja
selbst ein neuer Text verfasst werden.
Der neue Text lautet im einfachsten Fall "Ich rüge die Verletzung
sachlichen Rechts". Und auch ansonsten ist es sehr viel einfacher,
sich einen oder zwei Punkte aus einem fertigen Text herauszugreifen
und sie anzugreifen als den Text zu verfassen.
Post by Stefan Schmitz
Und die Urteilsbegründung ist
auch eine Auseinandersetzung mit den Texten aus der Hauptverhandlung.
Nicht wirklich. Die Hauptverhandlung in Strafsachen ist mündlich.
Post by Stefan Schmitz
Einziger Vorteil bei der Revision ist, dass man sich auf die Punkte
konzentrieren kann, die man angreifen will.
Das ist der entscheidende Unterschied, ja. Nicht nur, dass man sich
nur mit einem kleinen Teil der Urteilsgründe überhaupt
auseinandersetzen muss, es genügt, an einer Stelle anzusetzen.

(Klar, bei einem Urteil mit > 3.000 Seiten, das über fast zwei Jahre
verfasst wurde, ist das dennoch schwierig, aber Prozesse dieser Art,
die über mehr als 400 Verhandlungstage und 5 Jahre geschleppt werden,
sind ja sowieso nicht vernünftig zu betreiben.)
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht hat die Akten mit einem
Antrag vorzulegen, den sie auch zu begründen hat.
Dort steht nicht, dass es eine andere Staatsanwaltschaft ist als die aus
§ 347 II. Darum wäre ich nicht auf den GBA gekommen.
Naja, "die Staatsanwaltschaft" ist immer die beim jeweiligen Gericht,
und das ist beim BGH eben der GBA (beim OLG die GenStA, beim LG und AG
die StA).
Post by Stefan Schmitz
Wird denn ebenso verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft Revision einlegt?
Grundsätzlich ja - aber das ist im NSU-Prozess ja eh alles eins, weil
die verfahrensführende Staatsanwaltschaft zugleich die
Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht ist.

Bei einem "normalen" Strafprozess vor dem Landgericht wird das Urteil
nach seiner Absetzung den Beteiligten zugestellt. Die
Revisionsbegründungen müssen innerhalb der Monatsfrist beim
Landgericht eingehen. Danach besteht Gelegenheit zu Gegenerklärungen.
Dann übersendet der Vorsitzende die Akten der Staatsanwaltschaft (beim
Landgericht), Nr. 162 Abs. 4 RiStBV. Von dort aus werden die Akten an
den BGH übersandt, entweder direkt oder, wenn (auch) die
Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, über die
Generalstaatsanwaltschaft (die auch prüft, ob die Revision
erfolgversprechend ist, und sie sonst zurücknehmen lässt, Nr. 168
RiStBV). In jedem Fall erstellt die Staatsanwaltschaft einen
Übersendungsbericht (Nr. 164 RiStBV), quasi ein Inhalts- und
Formalienverzeichnis. Am Ende prüft der GBA die Revisionen und legt
sie mit dem Akten und seinem Antrag (samit Begründung) dem BGH vor.
Hält der GBA eine Revision der Staatsanwaltschaft nicht für
erfolgversprechend, wird er regelmäßig bei der
Generalstaatsanwaltschaft die Rücknahme anregen; er selbst kann das
nicht, weil er den Staatsanwaltschaften der Länder nicht übergeordnet
ist.

Der einzige tatsächliche - nicht rechtliche - Unterschied zwischen
Revisionen der Staatsanwaltschaft und Revisionen anderer
Verfahrensbeteiligter ist, dass der GBA bei staatsanwaltschaftlichen
Revisionen in ständiger Praxis Terminsantrag stellt, also keine
Verwerfung als "offensichtlich unbegründet" durch Beschluss nach § 349
Abs. 2 StPO beantragt; ohne Antrag des GBA kann der Senat nicht durch
Beschluss verwerfen, so dass mündlich verhandelt werden muss. Deshalb
wird über Revisionen der Staatsanwaltschaft fast immer durch Urteil
entschieden.

-thh
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Ulf Kutzner
2021-08-15 06:18:44 UTC
Permalink
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Weil es sehr viel aufwendiger ist, einen Text zu verfassen als sich
mit ihm auseinanderzusetzen.
Das Argument kann ich nicht nachvollziehen.
Dann schreib mal einen längeren fachlichen Text, vielleicht im Umfang
einer der größeren FAQs in de.answers, so ~ 2.000 Zeilen, und ich
schaue drüber und suche nach einem logischen Fehler. Wetten, dass Du
Tage brauchst und ich vielleicht eine Stunde?
Es wäre auch schlimm, wenn das anders wäre und - bspw. - die Korrektur
von Prüfungs- und Abschlussarbeiten oder gar wissenschaftlichen
Publikationen genauso lange dauern würde wie deren Erarbeitung ...
Post by Stefan Schmitz
Mit der Begründung muss ja
selbst ein neuer Text verfasst werden.
Der neue Text lautet im einfachsten Fall "Ich rüge die Verletzung
sachlichen Rechts". Und auch ansonsten ist es sehr viel einfacher,
sich einen oder zwei Punkte aus einem fertigen Text herauszugreifen
und sie anzugreifen als den Text zu verfassen.
Post by Stefan Schmitz
Und die Urteilsbegründung ist
auch eine Auseinandersetzung mit den Texten aus der Hauptverhandlung.
Nicht wirklich. Die Hauptverhandlung in Strafsachen ist mündlich.
Post by Stefan Schmitz
Einziger Vorteil bei der Revision ist, dass man sich auf die Punkte
konzentrieren kann, die man angreifen will.
Das ist der entscheidende Unterschied, ja. Nicht nur, dass man sich
nur mit einem kleinen Teil der Urteilsgründe überhaupt
auseinandersetzen muss, es genügt, an einer Stelle anzusetzen.
Und dann wird die Revision verworfen, weil sich der Revisionsführer eine
Stelle herausgesucht hat, ohne auf die paar hundert Seiten drumherum
detailliert einzugehen...
Post by Thomas Hochstein
(Klar, bei einem Urteil mit > 3.000 Seiten, das über fast zwei Jahre
verfasst wurde, ist das dennoch schwierig, aber Prozesse dieser Art,
die über mehr als 400 Verhandlungstage und 5 Jahre geschleppt werden,
sind ja sowieso nicht vernünftig zu betreiben.)
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht hat die Akten mit einem
Antrag vorzulegen, den sie auch zu begründen hat.
Dort steht nicht, dass es eine andere Staatsanwaltschaft ist als die aus
§ 347 II. Darum wäre ich nicht auf den GBA gekommen.
Naja, "die Staatsanwaltschaft" ist immer die beim jeweiligen Gericht,
und das ist beim BGH eben der GBA (beim OLG die GenStA, beim LG und AG
die StA).
Oder gar die AmtsA beim AG, je nach Bedeutung und angeklagter/anzuklagender Tat?
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Wird denn ebenso verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft Revision einlegt?
Grundsätzlich ja - aber das ist im NSU-Prozess ja eh alles eins, weil
die verfahrensführende Staatsanwaltschaft zugleich die
Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht ist.
Hatte ich mir doch gedacht, daß es bei erstinstanzlich OLG dann doch etwas
anders ist als eben von Dir geschildert. Gestern um 0:15:03 war es bei Dir
insoweit richtig.

Ulf Kutzner
2021-08-15 06:08:04 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Thomas Hochstein
Post by Stefan Schmitz
Das ist aber ein heftiges Missverhältnis. Das Gericht hat für die
Urteilsbegründung fast zwei Jahre gebraucht, die davon abhängige
Revisionsbegründung muss dann aber innerhalb eines Monats (oder
neuerdings drei) fertig sein. Warum nicht für beide Fristen die gleiche
Größenordnung?
Weil es sehr viel aufwendiger ist, einen Text zu verfassen als sich
mit ihm auseinanderzusetzen.
Das Argument kann ich nicht nachvollziehen. Mit der Begründung muss ja
selbst ein neuer Text verfasst werden. Und die Urteilsbegründung ist
auch eine Auseinandersetzung mit den Texten aus der Hauptverhandlung.
Kaum. Da herrscht eher Mündlichkeitsprinzip denn Textförmigkeit.

Meine Bedenken gingen eher dahin, daß gegen Ende der Urteilsabsetzungsfrist
den Richtern kaum noch gegenwärtig ist, was da wie genau besprochen wurde. Wenn es
auf Details nicht ankommt oder ankäme, vielleicht weniger tragisch.
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