Thomas Hochstein
2022-01-05 07:29:39 UTC
In dieser Reihe stelle ich zum Jahreswechsel die (relevanten) Änderungen
im Strafrecht und Strafprozessrecht der Jahre 2020-2021 im Überblick
dar; vielleicht interessiert es ja den einen oder die andere.
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StPO-Reformen
=============
Nach der großen StPO-Reform durch das "Gesetz zur effektiveren und
praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.07.2017 gab
es Ende 2019 und nunmehr 2021 zwei weitere StPO-Reformen durch das
- Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019
(13.12.2019), kurz StraVMoG
und das
- Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur
Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (01.07.2021),
kurz StPOuaFG
Die beiden Gesetze treffen Regelungen sowohl zum Ermittlungsverfahren
(dem Vorverfahren in der Diktion der StPO) als auch zum gerichtlichen
Strafverfahren (dem Hauptverfahren).
Dazu gehören folgende Änderungen des Vorverfahrens
- durch das StraVMoG:
* DNA-Untersuchungen an Spuren, die sich bislang nur auf das
DNA-Identifizierungsmuster (im nicht-kodierenden Bereich der DNA), das
Geschlecht und Verwandtschaft (Abstammung) erstrecken durften, dürfen
sich nunmehr auch auf kodierende Abschnitte der DNA, konkret auf Augen-,
Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person erstrecken (§ 81e Abs. 2
StPO).
* Telefonüberwachung (TKÜ im engeren Sinne) ist nunmehr auch bei
Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 4 StGB, seit Juli 2017
Verbrechenstatbestand) zulässig (§ 100a Abs. 2 Nr. 1 j).
* Bei besonders schutzbedürftigen Opfern v. Sexualstraftaten muss nach
die Vernehmung nach Abwägung im Einzelfall und bei Zustimmung der
Betreffenden zwingend als (a) richterliche und (b) Videovernehmung
stattfinden (§ 58a Abs. 1 S. 3 StPO); dies mit dem Ziel, den Opfern eine
erneute Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersparen, weil die
Vernehmung dann dort vorgeführt werden kann, soweit Verteidiger und (!)
Beschuldigter an der richterlichen Vernehmung mitwirken konnten.
- durch das StPOuaFG:
* Erstmals wird eine automatische Kennzeichenerfassung von
Kfz-Kennzeichen für Strafverfolgungszwecke geregelt (§ 163g StPO).
* Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Ermittlungsrichterin des
BGH (BGH, Beschluss vom 27.10.2016 - 1 BGs 107/16) wird eine dadurch
entstandene Lücke geschlossen und in die Vorschriften zur
Postbeschlagnahme auch ein Auskunftsverlangen über vormals beförderte
Postsendungen aufgenommen (§§ 99, 100 StPO).
* Eine Durchsuchung zur Nachtzeit (die an die Rechtsprechung des BVerfG
in seinem Beschluss vom 12.03.2019 - 2 BvR 675/14 angepasst nunmehr
einheitlich von 22 Uhr bis 6 Uhr geht) kann auch zum leichteren Zugriff
auf verschlüsselte Speichermedien erfolgen (§ 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO).
* Bei Beschlagnahmen bei Dritten (bei Durchsuchungen nach § 103 StPO) -
grundsätzlich eine offene Maßnahme, über die der Beschuldigte mit deren
Vollzug zu informieren ist - kann nun die Benachrichtigung des
Beschuldigten unter bestimmten Umständen zurückgestellt werden (§ 95a
StPO); das zielt in erster Linie wohl auf Maßnahmen bei Providern ab.
Neu ist zudem die Möglichkeit einer aus dem US-amerikanischen Recht
bekannten "gag order" (§ 95a Abs. 6 StPO).
* Die Belehrungspflichten der §§ 136, 163a StPO, die bislang nur bei der
ersten Vernehmung zu beachten waren, sind nun bei jeder
Beschuldigtenvernehmung zu beachten; eine böse Falle für die
Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, die die Neuregelung noch
nicht kennen ...
* Die Protokollierungsvorschriften in §§ 168a, 168b StPO wurden neu
sortiert. Auch wird der Zeugenschutz durch Ergänzungen in § 68 StPO
verbessert, weil regelmäßig die genaue Anschrift nicht mehr in
öffentlicher Hauptverhandlung genannt werden muss.
* Daneben gibt es eine Vielzahl anderer Änderungen und Klarstellungen,
so durch die erstmals geschaffene Legaldefinition des "Verletzten" in
§ 373b StPO.
und des Hauptverfahrens
- durch das StraVMoG:
* Das Verfahren bei Ablehnungsanträgen wegen Befangenheit, aber
insbesondere bei Besetzungsrügen wurde geändert. Die Frage der richtigen
Besetzung des Gerichts kann im Einzelfall (bspw. bei der Verhinderung
von Schöffen, aber auch bei unterjährigen Änderungen des
Geschäftsverteilungsplans) diffizil sein. Bisher konnte es geschehen,
dass eine Entscheidung des erkennenden Gerichts (so oder so) durch das
Reviosionsgericht als rechtlich falsch beurteilt wurde, mit der Folge,
dass die gesamte Hauptverhandlung - die am Landgericht oder in
Staatsschutzsachen beim OLG Monate und Jahre gedauert haben kann -
wiederholt werden musste. Nunmehr entscheidet das Beschwerdegericht
(regelmäßig das OLG) abschließend in der Instanz über die Berechtigung
einer Besetzungsrüge, die mit der Revision dann regelmäßig nicht mehr
angegriffen werden kann. Außerdem wurde die Möglichkeit zur Fortsetzung
der Hauptverhandlung trotz Befangenheitsantrag erweitert.
* Es besteht die Möglichkeit, bei gleichgelagerten Interessen der
Nebenkläger diese zu verpflichten, sich durch nur einen Anwalt vertreten
zu lassen; sicherlich ein Ergebnis auch des NSU-Verfahrens.
* Die Hauptverhandlung kann jetzt nicht nur bei Erkrankung, sondern auch
wegen Mutterschutzes längerfristig unterbrochen werden; ein wichtiger
Punkt unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung.
* Gesichtsverhüllungen (namentlich durch Schleier und andere,
vergleichbare Kleidungsstücke) wurden verboten (die Corona-Pandemie samt
Maskenpflicht hatte man nicht vorhergesehen ...).
* Die Rechtsprechung zur Definition eines Beweisantrags wurde
kodifiziert.
* Ein am 01.01.2023 in Kraft tretendens Gerichtsdolmetschergesetz wurde
eingeführt.
- durch das StPOuaFG:
* Bei einer verlängerten Urteilsabsetzungsfrist verlängert sich nunmehr
auch die Revisionsbegründungsfrist ein wenig (§ 345 Abs. 1 S. 2 StPO).
Last but not least ist am 01.01.2020 die bereits 2017 mit dem "Gesetz
zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des
Strafverfahrens" geschaffene Pflicht zur audio-visuellen Dokumentation
von Beschuldigtenvernehmungen (namentlich bei Kapitaldelikten) in Kraft
getreten.
Gesetzesbegründung zum StraVMoG:
<https://dip.bundestag.de/vorgang/.../254955>
Gesetzesbegründung zum StPOuaFG:
<https://dip.bundestag.de/vorgang/.../272971>
Die übrigen in Bezug genommenen gesetzlichen Regelungen finden sich
bspw. bei <https://buzer.de/>.
-thh
im Strafrecht und Strafprozessrecht der Jahre 2020-2021 im Überblick
dar; vielleicht interessiert es ja den einen oder die andere.
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StPO-Reformen
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Nach der großen StPO-Reform durch das "Gesetz zur effektiveren und
praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.07.2017 gab
es Ende 2019 und nunmehr 2021 zwei weitere StPO-Reformen durch das
- Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019
(13.12.2019), kurz StraVMoG
und das
- Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur
Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (01.07.2021),
kurz StPOuaFG
Die beiden Gesetze treffen Regelungen sowohl zum Ermittlungsverfahren
(dem Vorverfahren in der Diktion der StPO) als auch zum gerichtlichen
Strafverfahren (dem Hauptverfahren).
Dazu gehören folgende Änderungen des Vorverfahrens
- durch das StraVMoG:
* DNA-Untersuchungen an Spuren, die sich bislang nur auf das
DNA-Identifizierungsmuster (im nicht-kodierenden Bereich der DNA), das
Geschlecht und Verwandtschaft (Abstammung) erstrecken durften, dürfen
sich nunmehr auch auf kodierende Abschnitte der DNA, konkret auf Augen-,
Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person erstrecken (§ 81e Abs. 2
StPO).
* Telefonüberwachung (TKÜ im engeren Sinne) ist nunmehr auch bei
Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 4 StGB, seit Juli 2017
Verbrechenstatbestand) zulässig (§ 100a Abs. 2 Nr. 1 j).
* Bei besonders schutzbedürftigen Opfern v. Sexualstraftaten muss nach
die Vernehmung nach Abwägung im Einzelfall und bei Zustimmung der
Betreffenden zwingend als (a) richterliche und (b) Videovernehmung
stattfinden (§ 58a Abs. 1 S. 3 StPO); dies mit dem Ziel, den Opfern eine
erneute Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersparen, weil die
Vernehmung dann dort vorgeführt werden kann, soweit Verteidiger und (!)
Beschuldigter an der richterlichen Vernehmung mitwirken konnten.
- durch das StPOuaFG:
* Erstmals wird eine automatische Kennzeichenerfassung von
Kfz-Kennzeichen für Strafverfolgungszwecke geregelt (§ 163g StPO).
* Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Ermittlungsrichterin des
BGH (BGH, Beschluss vom 27.10.2016 - 1 BGs 107/16) wird eine dadurch
entstandene Lücke geschlossen und in die Vorschriften zur
Postbeschlagnahme auch ein Auskunftsverlangen über vormals beförderte
Postsendungen aufgenommen (§§ 99, 100 StPO).
* Eine Durchsuchung zur Nachtzeit (die an die Rechtsprechung des BVerfG
in seinem Beschluss vom 12.03.2019 - 2 BvR 675/14 angepasst nunmehr
einheitlich von 22 Uhr bis 6 Uhr geht) kann auch zum leichteren Zugriff
auf verschlüsselte Speichermedien erfolgen (§ 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO).
* Bei Beschlagnahmen bei Dritten (bei Durchsuchungen nach § 103 StPO) -
grundsätzlich eine offene Maßnahme, über die der Beschuldigte mit deren
Vollzug zu informieren ist - kann nun die Benachrichtigung des
Beschuldigten unter bestimmten Umständen zurückgestellt werden (§ 95a
StPO); das zielt in erster Linie wohl auf Maßnahmen bei Providern ab.
Neu ist zudem die Möglichkeit einer aus dem US-amerikanischen Recht
bekannten "gag order" (§ 95a Abs. 6 StPO).
* Die Belehrungspflichten der §§ 136, 163a StPO, die bislang nur bei der
ersten Vernehmung zu beachten waren, sind nun bei jeder
Beschuldigtenvernehmung zu beachten; eine böse Falle für die
Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, die die Neuregelung noch
nicht kennen ...
* Die Protokollierungsvorschriften in §§ 168a, 168b StPO wurden neu
sortiert. Auch wird der Zeugenschutz durch Ergänzungen in § 68 StPO
verbessert, weil regelmäßig die genaue Anschrift nicht mehr in
öffentlicher Hauptverhandlung genannt werden muss.
* Daneben gibt es eine Vielzahl anderer Änderungen und Klarstellungen,
so durch die erstmals geschaffene Legaldefinition des "Verletzten" in
§ 373b StPO.
und des Hauptverfahrens
- durch das StraVMoG:
* Das Verfahren bei Ablehnungsanträgen wegen Befangenheit, aber
insbesondere bei Besetzungsrügen wurde geändert. Die Frage der richtigen
Besetzung des Gerichts kann im Einzelfall (bspw. bei der Verhinderung
von Schöffen, aber auch bei unterjährigen Änderungen des
Geschäftsverteilungsplans) diffizil sein. Bisher konnte es geschehen,
dass eine Entscheidung des erkennenden Gerichts (so oder so) durch das
Reviosionsgericht als rechtlich falsch beurteilt wurde, mit der Folge,
dass die gesamte Hauptverhandlung - die am Landgericht oder in
Staatsschutzsachen beim OLG Monate und Jahre gedauert haben kann -
wiederholt werden musste. Nunmehr entscheidet das Beschwerdegericht
(regelmäßig das OLG) abschließend in der Instanz über die Berechtigung
einer Besetzungsrüge, die mit der Revision dann regelmäßig nicht mehr
angegriffen werden kann. Außerdem wurde die Möglichkeit zur Fortsetzung
der Hauptverhandlung trotz Befangenheitsantrag erweitert.
* Es besteht die Möglichkeit, bei gleichgelagerten Interessen der
Nebenkläger diese zu verpflichten, sich durch nur einen Anwalt vertreten
zu lassen; sicherlich ein Ergebnis auch des NSU-Verfahrens.
* Die Hauptverhandlung kann jetzt nicht nur bei Erkrankung, sondern auch
wegen Mutterschutzes längerfristig unterbrochen werden; ein wichtiger
Punkt unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung.
* Gesichtsverhüllungen (namentlich durch Schleier und andere,
vergleichbare Kleidungsstücke) wurden verboten (die Corona-Pandemie samt
Maskenpflicht hatte man nicht vorhergesehen ...).
* Die Rechtsprechung zur Definition eines Beweisantrags wurde
kodifiziert.
* Ein am 01.01.2023 in Kraft tretendens Gerichtsdolmetschergesetz wurde
eingeführt.
- durch das StPOuaFG:
* Bei einer verlängerten Urteilsabsetzungsfrist verlängert sich nunmehr
auch die Revisionsbegründungsfrist ein wenig (§ 345 Abs. 1 S. 2 StPO).
Last but not least ist am 01.01.2020 die bereits 2017 mit dem "Gesetz
zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des
Strafverfahrens" geschaffene Pflicht zur audio-visuellen Dokumentation
von Beschuldigtenvernehmungen (namentlich bei Kapitaldelikten) in Kraft
getreten.
Gesetzesbegründung zum StraVMoG:
<https://dip.bundestag.de/vorgang/.../254955>
Gesetzesbegründung zum StPOuaFG:
<https://dip.bundestag.de/vorgang/.../272971>
Die übrigen in Bezug genommenen gesetzlichen Regelungen finden sich
bspw. bei <https://buzer.de/>.
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Liste juristischer Online-Ressourcen: <https://th-h.de/law/lawlinks/>
Gesetzestexte, Rechtsprechung und Fundstellen: <http://dejure.org/>
Gesetze und Verordnungen (deutsches Bundesrecht): <http://buzer.de/>
Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>
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