Discussion:
verboten, aber straffrei
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2024-04-10 13:56:23 UTC
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Neulich schrieb jemand in einer anderen Gruppe, Abtreibung sei
hierzulande verboten, aber in den ersten 12 Wochen straffrei. Heute
hörte ich diese Formulierung auch im ÖRR.

Wenn ich mir aber § 218a StGB ansehe, steht da nicht "wird nicht
bestraft", sondern "der Tatbestand ist nicht verwirklicht" (Abs. 1) und
"nicht rechtswidrig" (Abs. 2)

Wie kommt es dann zu der ubiquitären Darstellung, es werde lediglich
nicht bestraft?

Einzig Absatz 4 könnte man in die Richtung interpretieren, aber da geht
es um Abtreibungen nach mehr als 12 Wochen.
Mark Obrembalski
2024-04-10 14:43:23 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Neulich schrieb jemand in einer anderen Gruppe, Abtreibung sei
hierzulande verboten, aber in den ersten 12 Wochen straffrei. Heute
hörte ich diese Formulierung auch im ÖRR.
Wenn ich mir aber § 218a StGB ansehe, steht da nicht "wird nicht
bestraft", sondern "der Tatbestand ist nicht verwirklicht" (Abs. 1) und
"nicht rechtswidrig" (Abs. 2)
Abs. 2 und 3 enthalten tatsächlich die Regelung, dass Abtreibung unter
den dort genannten Umständen "nicht rechtswidrig" und damit also
rechtmäßig ist. Absatz 1 schließt aber nur unter gewissen Umständen den
Tatbestand des § 218 aus, so dass die Abtreibung dann nicht strafbar ist
(außer natürlich, sie erfüllt im Einzelfall einen anderen
Straftatbestand). Dass sie "nicht rechtswirdig" sei, sagt Abs. 1 aber
gerade nicht, und das würde auch der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE
88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II) widersprechen.

Gruß,
Mark
Stefan Schmitz
2024-04-10 15:30:15 UTC
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Post by Mark Obrembalski
Post by Stefan Schmitz
Neulich schrieb jemand in einer anderen Gruppe, Abtreibung sei
hierzulande verboten, aber in den ersten 12 Wochen straffrei. Heute
hörte ich diese Formulierung auch im ÖRR.
Wenn ich mir aber § 218a StGB ansehe, steht da nicht "wird nicht
bestraft", sondern "der Tatbestand ist nicht verwirklicht" (Abs. 1)
und "nicht rechtswidrig" (Abs. 2)
Abs. 2 und 3 enthalten tatsächlich die Regelung, dass Abtreibung unter
den dort genannten Umständen "nicht rechtswidrig" und damit also
rechtmäßig ist. Absatz 1 schließt aber nur unter gewissen Umständen den
Tatbestand des § 218 aus, so dass die Abtreibung dann nicht strafbar ist
Und woraus ergibt sich das Verbot ohne Erfüllung des Tatbestands?
Post by Mark Obrembalski
(außer natürlich, sie erfüllt im Einzelfall einen anderen
Straftatbestand). Dass sie "nicht rechtswirdig" sei, sagt Abs. 1 aber
gerade nicht, und das würde auch der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE
88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II) widersprechen.
Isk Ender
2024-04-13 14:37:34 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Neulich schrieb jemand in einer anderen Gruppe, Abtreibung sei
hierzulande verboten, aber in den ersten 12 Wochen straffrei. Heute
hörte ich diese Formulierung auch im ÖRR.
Wenn ich mir aber § 218a StGB ansehe, steht da nicht "wird nicht
bestraft", sondern "der Tatbestand ist nicht verwirklicht" (Abs. 1) und
"nicht rechtswidrig" (Abs. 2)
Wie kommt es dann zu der ubiquitären Darstellung, es werde lediglich
nicht bestraft?
Einzig Absatz 4 könnte man in die Richtung interpretieren, aber da geht
es um Abtreibungen nach mehr als 12 Wochen.
Grundsätzlich ist Schwangerschaftsabbruch nach 218 StGB strafbar.
218a enthält Ausnahmen von der Strafbarkeit. Es gibt drei Ebenen
der Strafbarkeit: Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld.
Abs. 1 sieht eine Ausnahme auf der Tatbestandsebene vor. Die Tat
bleibt aber rechtswidrig.
Abs. 2 sieht eine Ausnahme auf der Ebene der Rechtswidrigkeit mit
einem besonderen Rechtfertigungsgrund vor. Der TB ist aber
verwirklicht.
Reinhard Zwirner
2024-04-18 17:39:28 UTC
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Hi,

ich erlaube mir in diesem Zusammenhang eine "Nebenfrage":

Das BVerfG hat IIRC seinerzeit ja eine Regelung, wie sie jetzt von
der entsprechenden Kommission empfohlen wird, kassiert. Glaubt man,
dass heutige Senate das anders sehen? Oder hofft man nach dem Motto
"Wo kein Kläger, da kein Richter." darauf, daß schon keiner klagen wird?

CU

Reinhard
Stefan Schmitz
2024-04-18 18:03:54 UTC
Permalink
Post by Reinhard Zwirner
Hi,
Das BVerfG hat IIRC seinerzeit ja eine Regelung, wie sie jetzt von
der entsprechenden Kommission empfohlen wird, kassiert. Glaubt man,
dass heutige Senate das anders sehen? Oder hofft man nach dem Motto
"Wo kein Kläger, da kein Richter." darauf, daß schon keiner klagen wird?
Weil ich mich darüber wunderte, habe ich mir mal die Ausführungen der
Kommission dazu näher angeschaut.
Man hofft offenbar darauf, dass bei sorgfältiger Begründung und
Auseinandersetzung mit der damaligen Argumentation (die teilweise für
widersprüchlich gehalten wird) das Gericht überzeugt werden kann,
diesmal anders zu entscheiden.

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