Discussion:
ne bis in idem und die Folgen
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2018-11-13 16:14:15 UTC
Permalink
Der Polizeiruf vom Sonntag bot eine rechtlich interessante Situation:

Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.

Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?

Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?

Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?


Ist es möglich, den strafrechtlich nicht mehr verfolgbaren Mörder in einem
Zivilprozess zu überführen? (Die Möglichkeit schied im Film wegen Überschreiten
der Verjährungshöchstfrist aus.)
Diedrich Ehlerding
2018-11-13 18:10:51 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.
Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?
Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?
Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?
Nach StGB § 186 begeht üble Nachrede, wer über einen anderen "eine
Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu
machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist,
[...] wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist". Nach § 190 Satz 2
ist der Wahrheitsbeweis aber ausgeschlossen, wenn der Beleidigte
rechtskräftig freigesprochen worden ist.

Also: Ja, das ist ein Straftatbestand (üble Nachrede).
Post by Stefan Schmitz
Ist es möglich, den strafrechtlich nicht mehr verfolgbaren Mörder in einem
Zivilprozess zu überführen? (Die Möglichkeit schied im Film wegen Überschreiten
der Verjährungshöchstfrist aus.)
Was für einen Anspruch würde man mit einer Zivilklage erheben wollen?
Und schon durch eine Zivilklage würde man die Behauptung verbreiten, die
man nach §§ 186+190 eben nicht verbreiten darf.
Rupert Haselbeck
2018-11-13 19:10:13 UTC
Permalink
Post by Diedrich Ehlerding
Was für einen Anspruch würde man mit einer Zivilklage erheben wollen?
Es werden Ansprüche auf Schadenersatz (Beerdigungskosten) und Schmerzensgeld
in Betracht kommen
Post by Diedrich Ehlerding
Und schon durch eine Zivilklage würde man die Behauptung verbreiten, die
man nach §§ 186+190 eben nicht verbreiten darf.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist nicht rechtswidrig. Das
Vorbringen in einem Rechtsstreit ist daneben wohl auch nicht
tatbestandsmäßig (hinsichtlich des Verbreitens). Dies besonders auch dann,
wenn die Beweislage für das Vorbringen des Klägers spricht

MfG
Rupert
Diedrich Ehlerding
2018-11-13 20:18:19 UTC
Permalink
Post by Rupert Haselbeck
Post by Diedrich Ehlerding
Und schon durch eine Zivilklage würde man die Behauptung verbreiten, die
man nach §§ 186+190 eben nicht verbreiten darf.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist nicht rechtswidrig. Das
Vorbringen in einem Rechtsstreit ist daneben wohl auch nicht
tatbestandsmäßig (hinsichtlich des Verbreitens). Dies besonders auch dann,
wenn die Beweislage für das Vorbringen des Klägers spricht
Hm - auch ein Zivilprozess ist im Prinzip öffentlich. Insofern wird
spätestens bei der mündlichen Verhandlung durchaus eine Behaoptung nicht
nur gegenüber dem Zivilrichter aufgestellt, sondern an die
Öffentlichkeit gebracht, die auf jeden Fall das Ansehen herabzusetzen
geeignet ist, die der Beklagte also als öffentlich vorgebrachte
Beleidigung ansehen kann. Und ihr Wahrheitsbeweis ist (bezüglich des
Strafrechts) ausgeschlossen.

Nun bezieht sich die Unmöglichkeit des Wahrheitsbeweises aus StGB § 190
wohl nur auf die vorangehenden §§ 185 ff. und eher nicht aufs Zivilrecht
- insofern könnte der Zivilprozess mögliciherweise zum Erfolg führen.
Aber gleichzeitig auch dazu, dass der Kläger bestraft wird.
Rupert Haselbeck
2018-11-14 20:20:09 UTC
Permalink
Post by Diedrich Ehlerding
Post by Rupert Haselbeck
Post by Diedrich Ehlerding
Und schon durch eine Zivilklage würde man die Behauptung verbreiten, die
man nach §§ 186+190 eben nicht verbreiten darf.
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist nicht rechtswidrig. Das
Vorbringen in einem Rechtsstreit ist daneben wohl auch nicht
tatbestandsmäßig (hinsichtlich des Verbreitens). Dies besonders auch
dann, wenn die Beweislage für das Vorbringen des Klägers spricht
Hm - auch ein Zivilprozess ist im Prinzip öffentlich. Insofern wird
spätestens bei der mündlichen Verhandlung durchaus eine Behaoptung nicht
nur gegenüber dem Zivilrichter aufgestellt, sondern an die
Öffentlichkeit gebracht, die auf jeden Fall das Ansehen herabzusetzen
geeignet ist, die der Beklagte also als öffentlich vorgebrachte
Beleidigung ansehen kann. Und ihr Wahrheitsbeweis ist (bezüglich des
Strafrechts) ausgeschlossen.
Nun bezieht sich die Unmöglichkeit des Wahrheitsbeweises aus StGB § 190
wohl nur auf die vorangehenden §§ 185 ff. und eher nicht aufs Zivilrecht
- insofern könnte der Zivilprozess mögliciherweise zum Erfolg führen.
Aber gleichzeitig auch dazu, dass der Kläger bestraft wird.
Wie ich schon schrieb fehlt es jedenfalls an der Rechtswidrigkeit, s.o.

MfG
Rupert
Stefan Schmitz
2018-11-13 22:34:22 UTC
Permalink
Post by Diedrich Ehlerding
Post by Stefan Schmitz
Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.
Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?
Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?
Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?
Nach StGB § 186 begeht üble Nachrede, wer über einen anderen "eine
Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu
machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist,
[...] wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist". Nach § 190 Satz 2
ist der Wahrheitsbeweis aber ausgeschlossen, wenn der Beleidigte
rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Nun wurde aber der Mutter gegenüber nicht behauptet, er sei der Mörder.
Sondern ihr wurde das erweislich wahre Ergebnis des DNA-Abgleichs mitgeteilt.
Stefan Schmitz
2018-11-14 17:53:23 UTC
Permalink
Post by Diedrich Ehlerding
Nach StGB § 186 begeht üble Nachrede, wer über einen anderen "eine
Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu
machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist,
[...] wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist". Nach § 190 Satz 2
ist der Wahrheitsbeweis aber ausgeschlossen, wenn der Beleidigte
rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Wie lange gilt denn dieser Satz 2 noch, wenn es zur Wiederaufnahme des Verfahrens
kommt? Und entfällt die Strafbarkeit nach § 186 StGB rückwirkend, wenn im
Wiederaufnahmeverfahren verurteilt wird?
Ulf Kutzner
2022-07-19 10:52:59 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.
Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?
Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?
Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?
Ist es möglich, den strafrechtlich nicht mehr verfolgbaren Mörder in einem
Zivilprozess zu überführen?
Seit 30. 12.2021 heißt es in solchen Fällen: bis in idem. Ein Betroffener hat
gerade in Karlsruhe die Aussetzung seiner U-Haft gegen noch festzulegende
Auflagen anordnen lassen. WIMRE kommt er auch erst dann frei.

Gruß, ULF
Ulf Kutzner
2023-10-31 08:14:36 UTC
Permalink
Post by Ulf Kutzner
Post by Stefan Schmitz
Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.
Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?
Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?
Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?
Ist es möglich, den strafrechtlich nicht mehr verfolgbaren Mörder in einem
Zivilprozess zu überführen?
Seit 30. 12.2021 heißt es in solchen Fällen: bis in idem. Ein Betroffener hat
gerade in Karlsruhe die Aussetzung seiner U-Haft gegen noch festzulegende
Auflagen anordnen lassen. WIMRE kommt er auch erst dann frei.
Vgl. nun

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/prozess-trotz-freispruch-100.html
Thomas Klix
2023-10-31 17:07:21 UTC
Permalink
Post by Ulf Kutzner
Post by Ulf Kutzner
Post by Stefan Schmitz
Ein Mann war vor vielen Jahren wegen Mordes an einer jungen Frau angeklagt und
freigesprochen worden, weil ein wesentliches Belastungsindiz platzte.
Ohne Geständnis ist kein neues Ermittlungsverfahren möglich.
Wäre es dennoch zulässig, jetzt einen DNA-Abgleich zwischen ihm und den alten
Spuren am Opfer vorzunehmen?
Im Film wurde gegen seinen Willen eine Speichelprobe genommen und analysiert.
Dabei kam heraus, dass die alten Spuren von ihm stammen.
Ist dieses Vorgehen der Polizei schon strafbar?
Nun aber wurde auch noch das Ergebnis des Vergleichs der Mutter des Opfers
mitgeteilt. Ist damit ein Straftatbestand erfüllt?
Ist es möglich, den strafrechtlich nicht mehr verfolgbaren Mörder in einem
Zivilprozess zu überführen?
Seit 30. 12.2021 heißt es in solchen Fällen: bis in idem. Ein Betroffener hat
gerade in Karlsruhe die Aussetzung seiner U-Haft gegen noch festzulegende
Auflagen anordnen lassen. WIMRE kommt er auch erst dann frei.
Vgl. nun
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/prozess-trotz-freispruch-100.html
Die Entscheidung ist gefallen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-094.html

Er darf nich ein zweites Mal angeklagt werden.

Thomas
Mad Axeman
2023-11-01 10:37:08 UTC
Permalink
Post by Thomas Klix
Er darf nich ein zweites Mal angeklagt werden.
Gilt das eigentlich auch für Fälle in denen das Gericht durch vorsätzliche Täuschung Dritter (zB durch falsche begünstigende Zeugenaussagen) zu dem Freispruch veranlasst wurde?
Ich meine vor Jahren mal von einem entsprechenden Fall gelesen zu haben, und dass der Täter dann doch ausnahmsweise erneut angeklagt wurde.

Axel
Stefan Schmitz
2023-11-01 11:34:07 UTC
Permalink
Post by Mad Axeman
Post by Thomas Klix
Er darf nich ein zweites Mal angeklagt werden.
Gilt das eigentlich auch für Fälle in denen das Gericht durch vorsätzliche Täuschung Dritter (zB durch falsche begünstigende Zeugenaussagen) zu dem Freispruch veranlasst wurde?
Ich meine vor Jahren mal von einem entsprechenden Fall gelesen zu haben, und dass der Täter dann doch ausnahmsweise erneut angeklagt wurde.
§ 362 StPO enthält fünf Möglichkeiten für die Wiederaufnahme. Nur eine
davon ist für verfassungswidrig erklärt worden.

Lesen Sie weiter auf narkive:
Loading...