Discussion:
Hänsel und Gretel : War das wirklich Notwehr?
(zu alt für eine Antwort)
Herr Grimm
2011-07-12 17:43:35 UTC
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Hallo,

der Fall "Hänsel und Gretel" ist ja bekannt.

Das Opfer waren hier vermeindlich Hänsel und Gretel, aber letztendlich
landete doch die Hexe im Ofen.

War das wirklich Notwehr?

Oder war das lange geplanter Mord?

Wollten die Kinder in Wirklichkeit die Hexe essen?

Welcher Straftaten hat sich Hexe schuldig gemacht?

???
Lars Friedrich
2011-07-12 19:00:05 UTC
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Post by Herr Grimm
der Fall "Hänsel und Gretel" ist ja bekannt.
Das Opfer waren hier vermeindlich Hänsel und Gretel, aber letztendlich
landete doch die Hexe im Ofen.
War das wirklich Notwehr?
Oder war das lange geplanter Mord?
Wollten die Kinder in Wirklichkeit die Hexe essen?
Welcher Straftaten hat sich Hexe schuldig gemacht?
Wenn dann müssen wir schon am Anfang mit der strafrechtlichen Bewertung
beginnen, nicht nur das Ende betrachten.

Hänsel und Gretel haben das Haus der Hexe angeknabbert, also
gemeinschaftliche Sachbeschädigung.

"Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden
Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert."

Allerdings waren sie kurz vorm Verhungern. Das heisst, hier könnte ein
rechtfertigender Notstand vorgelegen haben:
"Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben,
Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat
begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt
nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen,
namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen
drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte
wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein
angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden."

Das Anknabbern des Hexenhäuschen war geeignet und angemessen, dem
Verhungern vorzubeugen und die Sachbeschädigung fällt nicht ins Gewicht,
auch da sich ein Zuckerhäuschen vermutlich leicht reparieren lässt.

Allerdings war die Gefahr ggfs. auch auf andere Weise abzuwehren,
nämlich einfach mal die Hexe nach Essen zu fragen, statt gleich das Haus
anzuknabbern. Daher liegt hier m.E. kein Notstand vor, es sei denn, die
beiden waren schon so sehr unterzuckert, dass jede weitere Verzögerung
lebensbedrohend gewesen wäre. Dazu lässt sich der Autor leider nicht
genauer aus.

Die Hexe war daher grundsätzlich nach §127 StPO berechtigt, Hänsel und
Gretel zur Identifikation festzunehmen:
"Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er
der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt
werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung
vorläufig festzunehmen."

Widerrechtlich ist dann allerdings die Nötigung von Gretel zu Arbeiten
als Dienstmagd:
"Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem
empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

und das Einsperren von Hänsel. Hier liegt eine Freiheitsberaubung vor.
"Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit
beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft."

Kommen wir zum Schubsen der Hexe in den Ofen durch Gretel.

"Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht
rechtswidrig.

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen
gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen
abzuwenden."

Grundsätzlich liegt ein rechtswidriger Angriff auf ein geschütztes
Rechtsgut, namentlich die Freiheit, vor. Dieser ist auch gegenwärtig, da
er noch andauert. Gretel durfte auch tätig werden, um Hänsel zu schützen
bzw. zu befreien. Daher wäre noch zu prüfen, ob die Handlung
erforderlich und geboten gewesen ist.

Entsprechend dem Sachverhalt ist die Hexe halbblind, denn sie muss ja
durch das Fühlen von Hänsels Zeigefinger herausfinden, ob er dick genug
zum Verspeisen geworden ist. Ebenso dürfte sie den Kindern körperlich
unterlegen sein - sie musste die Kinder durch eine List ins Haus locken.
Das sind nicht gerade Indizien, die darauf hinweisen, dass die Anwendung
tödlicher Gewalt erforderlich gewesen wäre und es in den 4 Wochen
Gefangenschaft keine weniger drastischen Maßnahmen möglich gewesen wären.

Ich würde hier jedenfalls nicht wegen Notwehr freisprechen - allerdings
ist sie auch nicht wirklich auszuschliessen. Läßt sich ein Tatgeschehen
nicht klären, müssen die für möglich gehaltenen, nicht fernliegenden
Alternativen zur Urteilsfindung einbezogen werden und diejenige
Sachverhaltsgestaltung zu Grunde gelegt werden, die für die Angeklagten
am günstigsten ist. Daher wäre hier ein Freispruch "in dubio pro reo"
angezeigt.

Allerdings haben sich Hänsel und Gretel mindestens der Unterschlagung
strafbar gemacht, als sie nach der Tat noch die Edelsteine der Hexe
mitgehen liessen.

Die strafrechtliche Betrachtung hat ausserdem einen weiteren Haken,
nämlich §2 StGB:
"Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur
Zeit der Tat gilt."

Es wäre also zusätzlich noch zu ermitteln, welche Gesetze 1812 oder
ggfs. noch früher gegolten haben. Allerdings galt in vielen Bereichen
Deutschlands zu der Zeit der Code Pénal von Napoléon. Vorsatz,
Rechtfertigender Notstand, Notwehr etc. sind dort ebenso vorhanden, wie
in unserem StGB. Die Abweichungen dürften sich daher in Grenzen halten.
Es sei denn, es waren Bayern. Dann allerdings hätten sie wohl an einem
Leberkäs-Haus geknabbert.

Grüße,
Lars Friedrich
Hans Beiger
2011-07-12 19:52:07 UTC
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Post by Lars Friedrich
Wenn dann müssen wir schon am Anfang mit der strafrechtlichen Bewertung
beginnen, nicht nur das Ende betrachten.
Hänsel und Gretel haben das Haus der Hexe angeknabbert, also
gemeinschaftliche Sachbeschädigung.
Grüße,
Lars Friedrich
Werden so unsere zukünftigen Juristen ausgebildet? Bringt zumindest eine
heitere Komponente in das aufgebauschte Rechtssystem. Allerdings in
bedenklicher Weise auch Gewalt bis zur beabsichtigten Tötung.

Gruß Hans
Lars Friedrich
2011-07-12 21:10:03 UTC
Permalink
Post by Hans Beiger
Post by Lars Friedrich
Wenn dann müssen wir schon am Anfang mit der strafrechtlichen Bewertung
beginnen, nicht nur das Ende betrachten.
Hänsel und Gretel haben das Haus der Hexe angeknabbert, also
gemeinschaftliche Sachbeschädigung.
Werden so unsere zukünftigen Juristen ausgebildet?
Mit ausgedachten Sachverhalten? Davon gehe ich stark aus.

Grüße,
Lars Friedrich
Bernhard Muenzer
2011-07-13 08:02:23 UTC
Permalink
Post by Lars Friedrich
Es wäre also zusätzlich noch zu ermitteln, welche Gesetze 1812 oder
ggfs. noch früher gegolten haben. Allerdings galt in vielen Bereichen
Deutschlands zu der Zeit der Code Pénal von Napoléon. Vorsatz,
Rechtfertigender Notstand, Notwehr etc. sind dort ebenso vorhanden, wie
in unserem StGB. Die Abweichungen dürften sich daher in Grenzen halten.
Es sei denn, es waren Bayern.
Im linksrheinischen Teil Bayerns galt damals ebenfalls der Code
Napoleon.
Post by Lars Friedrich
Dann allerdings hätten sie wohl an einem Leberkäs-Haus geknabbert.
Auch Franken hatten sich die Bayern damals schon einverleibt; bei der
Geschichte könnte es sich also auch um Gräuelpropaganda gegen die
unterdrückten Bewohner der besetzten Gebiete handeln.

Christoph Kämper
2011-07-12 22:21:00 UTC
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Post by Herr Grimm
Hallo,
der Fall "Hänsel und Gretel" ist ja bekannt.
Das Opfer waren hier vermeindlich Hänsel und Gretel, aber letztendlich
landete doch die Hexe im Ofen.
War das wirklich Notwehr?
Oder war das lange geplanter Mord?
Wollten die Kinder in Wirklichkeit die Hexe essen?
Welcher Straftaten hat sich Hexe schuldig gemacht?
???
Ich verweise auf Hans Traxler, Die Wahrheit über Hänsel und Gretel, 2007
bei Reclam neu aufgelegt. Traxlers Arbeit zur Märchenarcheologie von 1963
berichtet über die Arbeit Georg Osseggs, der im Grimmschen Werk auf einige
Widersprüche stieß und den ursprünglichen Ort des Geschehens suchte, fand
und ausgrub. Ergebnis ist schließlich, das es sich um einen Fall von
Wirtschaftsspionage im Bäckergewerk handelte, der mit dem Mord an der
Einsiedlerin endete.

Christoph
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